Redaktionelle Anmerkung: Eine umfassende Abhandlung zum Thema ist für diese Seite im redaktionellen Aufbau. Die nachfolgende Einleitung gewährt einen thematischen Überblick.
Die philosophische Anthropologie hat sich spätestens seit Immanuel Kant (vgl. Schriften zur Metaphysik und Logik 2, W. Weischedel, Frankfurt 1977.448) in Absicht der Selbstauslegung des Menschen immer an die Frage gehalten: Was ist der Mensch?

Dabei  folgte sie der Suggestion, dass sich Kriterien finden lassen, die das Spezifikum des Menschen angeben können. Besondere Wirkung zeigte die hermeneutische Bestimmung des Menschen als ein Lebewesen exzentrischer Positionalität. Insoweit fand Plessners Anthropologie von 1928 (Die Stufen) sehr weitgehend intersubjektiven Konsens. Der Verfasser schliesst sich auch in einer etwas andersartigen Betrachtung der Selbstauslegung des Menschen  aus dem Aspekt der ersten und zweiten Natur nichtsdestotrotz einer bewährten, widerspruchsfrei erscheinenden und  oben in Bezug genommenen Sichtweise weiterhin an, die insbesondere auch das anthropologische Denken bzw.  ein Interpretationskonstrukut des Menschen bei José Ortega y Gasset beeinflusst und geprägt hatte: Der Mensch ist demgemäß ein Wesen der Natur-Kultur-Verschränkung. Die aktuelle, sehr kontrovers geführte  Debatte: Determiniertheit und Freiheit spaltet immer wieder die Möglichkeit einer evaluativen Einheit im Hinsehen auf das Selbstauslegungskonzept des Menschen in er Gemeinde der  Neurowissenschaften ( allen voran  die Hirnforschung mit den deutschen Exponenten Wolf Singer und Gerhard Roth) einerseits und der Philosophie andererseits. Das exorbitante öffentliche Interesse an der Materie wird für das allgemeine Publikum aufgrund der in medialer Bezugsebene geführten Auseinandersetzung bzw. “Streitgespräche” der exponierten Vertreter der jeweiligen Richtung  in nachvollziehbarer Argumentation und weitgehendem  Verzicht auf Wissenschaftsfachsprache sowohl angeregt als auch befriedigt. 

In der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG trat im Sommer 2009 die Philosophie mit dem Marburger Philosophen Peter Janich gegen die Hirnforschung mit Wolf Singer an. Die Interpretaments liegen weit auseinander. Letzterer  zeigte Humor und schlug Janich vor, sich selbst der Hirnforschung als Person zur Verfügung zu stellen, “(…) damit gesichert ist, dass die unabhängige Variable des GEISTIGEN  in Ihrem Sinne parametrisiert werden kann. Um die Erfassung der neuronalen Aktivitätsmuster würden wir uns dann mit grösster Sorgfalt selbst kümmern.” Peter Janich reagierte ebenfalls humorvoll und meinte, Singer schlage vor, ” statt des fruchtlosen Austauschs von Argumenten zur Hirnforschung ein Experiment durchzuführen, vorzugsweise am philosophischen Kritiker selbst, quasi als Anrufung einer finalen, nichtsprachlichen Entscheidungsinstanz, das den  unbewiesenen Behauptungen der Philosophen  ein für alle Mal ein Ende setzt.”

Eine Verständigung zwischen Geistes- und Naturwissenschaften über das Wechselverhältnis von Natur und Kultur, von Geist und Materie, scheint vorerst nicht zu erwarten. Weshalb also sollte die philosophische Anthropologie  ernsthaft in hermeneutischer Absicht versuchen, für die Humanwissenschaften eine Art “synthetische Einheit der Apperzeption” zu leisten? Neuere Ansätze mit einem  Interpretationskonstrukt zur Selbstauslegung des Menschen aus dem Aspekt der Ersten und Zweiten Welt könnten  mehr leisten, als es dilettantische Bemühungen am falschen Objekt   bisher bei ähnlichen Operationen zuwege gebracht haben.

Eine antireduktionistische und deessentialistische Anthropologie 

Will man den Menschen mit dem Begriff :Zweite Natur erklären, muss zu Anbeginn klar sein, daß Menschen Wesen sind, die eine zweite Natur erst erwerben müssen. Die  Zweite Natur  ist in Plessners Sinne eine WIR-Sphäre; es sind sowohl  kulturelle Überlieferungen, innerhalb deren Menschen sich bewegen als auch symbolisch-reflexive Fähigkeiten, die Menschen praktizieren. Die Dimension der Selbstauslegung tritt folglich auf diese Weise irreduzibel in Erscheinung. Hieraus abgeleitet lautet die zentrale anthropologische Frage: WER WOLLEN  WIR  SEIN? 

Offenbar ist die KULTUR-Relativität oder Universalität des Humanum eine Frage dessen, was wir aus uns machen wollen. Die Frage: Wer wollen wir sein?, kann also nicht auf die Prägung des Menschen eingegrenzt werden, sondern vor allem ist der Aspekt  des  WIR zu betonen. Kurzum: Das WIR des Menschen ist ein normativer Begriff, ein Begriff der Selbstbestimmung. Deshalb wird diese Abhandlung aus dem Aspekt der Zweiten Natur als das Charakteristikum des Menschseins des Menschen bzw. als die Natur seiner Natur danach fragen, wie aus dieser Position die Erste Natur in den Blick gerät? Man kann danach fragen, wie innerhalb der ersten Natur eine zweite Natur, wie innerhalb des Jagdschemas des naturalen rezenten Menschen ein Denkschema  entstehen konnte? Offenbar muss diese Frage die  physiologischen und biologischen Prämissen klären, die erfüllt sein mussten, damit sich Wesen der Zweiten Natur entwickeln konnten. Die Beantwortung kann unter anderem evolutionsbiologisch erfolgen. Aus der Perspektive des Menschen bzw. seines Strebens  nach Selbstauslegung, kommt die Erste Natur von seiner Zweiten Natur her in den Blick. Für Tiere gibt es dieses Problem nicht.

Eine entscheidende Frage für das weitere Vorgehen lautet deshalb:

Wie kann die durch Entwicklungsprozesse der Zweiten Natur geformte kulturelle Prägung der Welt durch kulturelle Praktiken zur Zweiten Natur wieder reflexiv distanziert werden? Hier ist die weitere Frage danach  zu beantworten,was ein Wesen, das zu sich auf Distanz geht/gehen kann aus sich machen will.

Web-Redaktion