DIE JAGD  als UNIVERSALBEGRIFF 

Lange Zeit wurde nicht verstanden, weshalb der Cusaner den Titel seines bedeutenden Spätwerkes unter den operativen Begriff VENATIO stellte. Noch heute nehmen unzulänglich informierte  “Exegeten” von de Venatione Sapientiae  gelegentlich an, Nikolaus habe das Wort JAGD als Metapher verwendet. Wer überhaupt die erkenntnistheoretische Strategie versteht, die mit dem Universalbegriff Jagd absichtsvoll von Nikolaus verbunden wurde, um  mit Jagdstrukturen, mit dem naturalen Jagdschema Denkstrukturen, ein dem Jagdschema gegenüber gleichförmiges  Denkschema zu benutzen, der begreift auch die gleichzeitige Verbindung einer Wechselwirkung von Determiniertheit und Freiheit,  von Natur und Kultur, die mit dem Text des Cusaners zum Ausdruck kommt. Die Jagd nach Weisheit entsprechend der Methode des Nikolaus von Kues perhorriziert eine Entwicklung der neuronalen Wissenschaften aktueller Prägung,  die um eine angemessene Selbstauslegung des Menschen  aus dem Aspekt der Determiniertheit versuchen  Freiheit zu erklären.  Die Natur der Natur des rezenten Menschen war in der Morgenröte der Menschheit eine Jägernatur, die eines Raubtieres, worauf José Ortega y Gasset hinweist.  

Der 1401 im Moselort Kues geborene Nikolaus von Chryffz bzw. Krebs studierte in Padua und Heidelberg Rechtswissenschaft, später Theologie in Köln. Er wirkte seit 1427 als Stiftsdekan an St. Florian in Koblenz, war päpstlicher Konzilberater und bemühte sich unter dem Menetekel aufblühender Reformbewegungen um die Einheit im Glauben.  Als Kardinal seit 1448 übernahm er 1450 die Leitung des Bistums Brixen. Seine politischen Aktivitäten sicherten den Frieden unter den westlichen Mächten in Italien und Deutschland. Ortegas Europaidee ist, wie es scheint, erkennbar inspiriert  von den orbitalen kulturellen Visionen  des Kusaners. Nikolaus wird wohl zu Recht als der  Spiritus Rector des Entwurfs eines ersten Idealbildes einer Weltreligion verortet, das  über regionale und Zeitgrenzen hinweg für heutiges interkulturelles Verständnis  Horizont bildende  Projektionen schuf.

Wir wollen untersuchen, ob und wie weit die Methode des Cusaners trägt und ob sie universell mit der Verwendung des Wortes JAGD  für wissenschaftliche und logische Argumentation belastbar ist, wenn wir mit Nikolaus den Sprung zur modernen Hirnforschung wagen indem wir unterstellen, das genetisch in unserem Gehirn encodierte  Jagdschema entspreche  als eines der unterschiedlichen Steuerunsmechanismen dem Denkschema des Menschen.

Eule mit Mond

Wie kann eine Handlungstheorie naturale Jagdmethoden als Denkmethoden  sinnvoll anwenden?

Nikolaus von Kues verwendet den  Jagdbegriff als Bezeichnung eines im Lebewesen angelegten Strebens nach Ressourcen, nach Beute. Das Lebewesen wird insoweit als Bedürfniswesen angenommen. Nikolaus bezieht dieses Merkmal auf alle möglichen Bedürfnisse eines Lebewesens, physiologisch generierte (z.B. Hunger) auf der naturalen Ebene  ebenso wie  auf der kognitiven oder geistig-psychischen Ebene (z.B. Bedürfnis nach Wissen, Wahrheit, Liebe). Im Rekurs auf die aktuellen Neurowissenschaften wäre zu fragen: Sind geistige Bedürfnisse physiologisch generiert, sind kulturelle Bedürfnisse eine Verschränkung von Natur und Reflexivität? Nikolaus hat es offenbar wegen der Evidenz der universellen Vorstellung von Jagd nicht unternommen, Jagd auf den Begriff zu bringen (zu operationalisieren).  Diesem Verfahren dürfen wie Heutigen uns nicht ohne weiteres anschließen, sondern müssen fragen und klären: Was überhaupt bedeutet JAGD? Wie ist Jagd als Wissenschaft möglich?  Die Waidmänner unter uns Jägern werden bei der theoretischen Problemlösung wenig hilfreich sein können.  Das beispielsweise durch Jagdliteratur und relevante Beiträge in Jagdmedien repräsentierte Niveau entsprechender Eliten weltweit müsste zuallererst einmal in der Lage sein , die Jagd losgelöst von der waidmännischen Tätigkeit, also abstrahiert vom Beutemachen mit Tierobjekten überhaupt,  angemessen zu verstehen. Als Objekte von erkennender Wissenschaft  auf dem Weg zum Explanandum können konkrete Ausüber des Waidwerks aber dadurch Antezedenzen sein, daß  wir ihr Handeln analytisch einsetzen, um die phänomenologisch apodiktische Lust am Töten von Tieren zu erklären. Diese Lust, zwar immer als solche geleugnet, aber nie widerlegt, eignet exorbitant, wie es scheint,  limbische Prozesse empirisch auf den Kausalnexus mit einer kognitiven Verschränkung hin zu überprüfen. Ist das lust und triebgeleitete Erleben der Beuteintention von Anfang an bloß aus dem emotionalen Kotex heraus determiniert oder gibt es im Menschen eine Verschränkung des Aktionsvollzuges zwischen Leidenschaft und Vernunft? Triebstrebungen scheinen aus dem Unbewußten Reich aufsteigend an Verstand zu gewinnen und selbst im ultimativen Augenblick der Jagd zwischen Kick und Entspannung soetwas wie Wahlfreiheit, Handlungsalternativen zu gestatten. Kants innerer Gerchtshof kann offenbar das Jagdsubjekt, schon den Finger am Stecher, zur Aufgabe zwingen: jenachdem, welch ein Mensch einer ist!

 Die JAGD des Nikolaus von Kues in ihrem Ursprung zu erfassen spornt mit den Worten von José Ortega y Gasset gewaltig an, Jagd auf die Jagd zu betreiben. Eine spannende Aufgabe, das anthropologische Faktum Jagd von der Ebene des Wildjägers zur Börse und Weltraumwissenschaft hin zu verfolgen und zu erklären! Es wird allerdings noch eine Weile dauern, bis die hierfür erforderlichen “Funktionäre” nicht mehr bei Jagdverbänden, sondern an universitären Lehrstühlen zu verorten sind. Ist es nicht nachdenkenswert, daß geistige Eliten zwar oft genug in Wald und Flur als Jäger anzutreffen sind,  jägerische Eliten als Funktionäre aber fast nie als Geistesgrößen in Erscheinung treten?

 Günter R. Kühnle

Kategorie: De venatione