Anmerkung Webredaktion:

Die so genannten Jagdtheorien früherer Zeit waren allesamt Theorien über die Entwicklungsgeschichte des Menschen auf dem phylogenetischen Jäger-und Sammlerniveau. Es handelte sich also hierbei um anthropologische Theorien bzw. Hypothesen, nicht aber um eine Jagdtheorie sui generis. Diese wurde erstmals von Günter R. Kühnle in der Gestalt einer wissenschaftlichen Arbeit zum Erlangen einer akademischen Qualifikation (Dissertation) 2003 an der Universität Trier vorgelegt. Sie erfasst Jagd als universelles Phänomen in Natur und Kultur, macht auf die orbitale sprachliche Anwendung des Wortes Jagd im Sinne eines Universalbegriffs aufmerksam und verschafft der Wissenschaft die Grundlage, beispielsweise die Jagd bei Nikolaus von Kues (De venatione sapientiae) , also die kulturelle Form von Jagd, ebenso  zu erforschen wie die archaischen Jagdformen im Ausdruck der heutigen Wildjagd. Auf diese Weise ist die Jagdtheorie ein universelles Interpretationskonstrukt auf dem Felde der Geisteswisenschaften, der Verhaltenbsforschung, der Psychologie, Soziologie, Politikwissenschaften usw. Die Vorstellung von Jagd im assoziativen Kortex der Menschen weltweit nur in Reduktion auf Wildtierjagd, auf das Waidwerk, ist eine Ausnahme in der subjektiven Vorstellung der konkreten Akteure (Jäger). Sie tritt in der kollektiven, universellen Vorstellung allgemein nur dann auf, wenn das Phänomen Wildtierjagd Gegenstand praktischer oder intellektueller Wahrnehmung ist. Der nachfolgende Text ist ein Auszug aus der Dissertation Kühnle.

  

 

 Jagdtheorie 

Die Jagd als apriorische Entität des Lebens in der Form eines Leitsystems von Verhalten und praktischem Handeln

Das Phänomen als Gegenstand von Wissenschaft

 

 

I        Die Bedingung der Möglichkeit von Evolution ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes von Jagd, also ist Jagd eine Vitalkategorie a priori, und sie ist dem Lebewesen ontogenetisch a priori inhärent.

 

Begründungszusammenhang: vgl. Kant. Immanuel, Kritik der reinen Vernunft: A 111, B 146, B 197.

 

II       Die Vitalkategorie Jagd ist im Lebewesen ein Aktivitätspotential, das vermittels Jagdschema­tismus auf Ressourcen ausgerichtetes Verhalten strukturiert und organisiert. Alle Organismen, Pflanzen und Tiere, bilden unter dem Naturgesetz der Kausalität das Universum der Ressourcen biotischer Evolution. Also ist Jagd, als natura materialiter spectata (vgl. Kant, KrV–B 163,        B 164, B 446), Ausdruck einer interorganismischen Wechselwirkung, deren Mechanismus das Jagdschema bildet (zum Begriff des Schemas vgl. Kant, KrV–B 179 f.). Dieses ist die empirische Bezugsgröße einer apriorischen Entität des Lebens, die das Phänomen Jagd unter den Begriff bringt.

 

III     Die Bedingung der Möglichkeit von kultureller Evolution ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes von kultureller Jagd. Also ist kulturelle Jagd eine Kategorie des Geistes. Sie bildet die operative Struktur der kognitiv bestimmten Persönlichkeit in der Dimension geistig-seelischer Vollzüge im Erkennen, Erleben und im Handeln.

         Das kulturelle Jagdschema ist als Denk- und Handlungsschema dem Menschen ontogenetisch inhärent. Es ist die natura specifica mittels Natur-Kultur-Verschränkung eines durch Sinnlichkeit und Vernunft zugleich bestimmten Lebewesens.

 

IV     Die vitalkategoriale Ebene der kulturellen Jagd ist das Gehirn des Menschen. Das Zentralorgan organisiert und strukturiert als basale Ebene des Denkens in seiner aktivitätspotentialen Eigenschaft die Intentionalität bzw. physiologische und mentale Prozesse des Organismus. Der intentionale Richtungssinn ist ressourcenorientiert und leitet motivselektiv den Willen zum Handeln. Die Wechselwirkung von physiologischen und mentalen Prozessen im Organismus ist verhaltenskonstitutiv (vgl. Kant, KrV–B 75, d. i. Geist-Gehirn-Interaktion).

Erleben und Erkennen als die Mechanismen von Verstand und Psyche sind Ausdrucksweisen der Strukturschemata von kultureller Jagd. Ihre Ressource sind geistige, psychische und materielle Güter zur Befriedigung physiologisch evozierter bzw. psychologisch und durch Wissen erfahrbarer geistiger, seelischer (sc. Wünsche, Hoffnungen) und sozialer Bedürfnisse in der Spannweite aller möglichen Motivklassen (vgl. Kant, KrV–B 574/10-30 i. Verb. m. B 698/30;    B 563-567).

Also ist die kulturelle Jagd unter der Idee der Vernunft Ausdruck einer körperlich-geistigen, natürlich-kulturellen (psychophysischen) Wechselwirkung, und das kulturelle Jagdschema ist ihr kognitiver Leitfaden, der Triebstruktur und Realitätsprinzip verbindet. Jagdmotivation ist Person-Situations-Interaktion. Die Natur des Menschen interagiert durch das kulturelle Jagdschema als Denk- und Handlungsschema mit der Umgebungsnatur (Umwelt) und erfährt sich dort reflexiv in der Wirklichkeit der Ökosysteme. Sie sind demgemäß mit allem, was lebt, die Bezugsebene und die Umsetzungseinheit der modernen Wildjagd. Vermittels der Vernunftnatur des Menschen ist folglich das Moralprinzip der kulturellen Wildjagd die Ökosystemgerechtigkeit.

 

DEDUKTION  DER DENKOPERATIONEN

 Im AUFBAU der JAGDTHEORIE 

 

 

Die Jagd:

Definition und Explikation des Begriffs (unsystematische erste Zusammenfassung)

 

I.     Die Jagd ist eine Vitalkategorie a priori im Prozeß der biotischen Evolution.

 

II.    Die Jagd ist im Lebewesen als Aktivitätspotential repräsentiert.

 

III.  Die Jagd strukturiert und organisiert als Aktivitätspotential des Organismus das Verhalten des Lebewesens vermittels Schema

 

IV.  Das naturale Jagdschema ist in Form eines Auslösemechanismus ein Richtungssinn, vermöge dessen artspezifisch eine Ressourcenselektion (Beuteauswahl) in Wechselwirkung mit der Umwelt erfolgt. Das Jagdschema steuert und strukturiert als fest ausgebildetes Verhaltens­muster auf diese Weise das Aufeinandertreffen von Instinktsystemen in der Natur und organisiert damit den Aufbau der zoologischen Hierarchie.

 

V.   Das kulturelle Denk- und Handlungsschema ist im Ergebnis der kulturellen Evolution eine Variation des naturalen Jagdschemas. Die höhere Kategorie evoluiert in Interdependenz mit der biotischen Entwicklung des Neocortex als basale Bedingung der Möglichkeit kognitiver Prozesse.

 

VI.  Die Jagd im Ausdruck des bedürfnisorientierten kulturellen Schemas intendiert sowohl materielle als auch immaterielle Ressourcen (Güter) des Menschen. In Wechselwirkung mit der natürlichen und sozioökonomischen Umwelt selektiert das kulturelle Jagdschema in Form des Denk- und Handlungsschemas die für Menschen artspezifischen Ressourcen (natürliche bzw. materielle und geistige Güter).

 

VII. Die Jagd auf Wildtiere besteht kulturell in einer dichotomen Zweckorientierung:

 

●     Sie ist unter natürlichen Bedingungen kultureller Zustände die Nutzung einer natürlichen Ressource (Wild) durch Residuen z. B. steinzeitlich lebender hominider Populationen.

 

●     Sie ist unter Lebensbedingungen einer modernen Zivilisationsgesellschaft die Nutzung einer natürlichen Ressource (Wild) durch in der Regel nicht natürliche Personen als Inhaber der Verfügungsgewalt über Jagdrecht (Staat, öffentlich-rechtliche und private Organisationen, Kirche, ökonomische Gruppen, Jagdgenossenschaften, Privateigentum).

 

●     Sie ist – allgemein – in ihrer kulturellen Ausdrucksform in der individuellen oder sozialen Wahrnehmung und Praxis durch eine Jägerpersönlichkeit die Nutzung einer immateriellen Ressource vermittels natürlich-materieller Ressource (Wild). Die Wildjagd des modernen Jägers (Waidwerk) ist damit nicht Atavismus, sondern eine Form der menschspezifischen Natur-Kultur-Interaktion. Sie gewährt dem Individuum als Bedingung der Möglichkeit der Selbster­fahrung im Dienste der Selbstauslegung des Menschen den Zugang zum Verstehen und Erken­nen der Natur der Natur des Menschen als selbstreferentielles System. Die Jagd des kulturellen Wildjägers ist durch Emotionalität fundiert und auf ein Beherrschen der Natur (Naturgesetz) in der Auseinandersetzung mit dem Prinzip Leben gerichtet: Jagend an der Grenze zwischen Tiersein und Menschsein tätig erlebt sich das Individuum im Durchgang biopsychischer Prozesse als ein Wesen der Natur-Kultur-Verschränkung in den Welten seiner Sinnlichkeit und Vernunft. Die Ressource (Natur, Leben als intendierte Beute) wird nicht bewußt erlebt.

 

Kurzfassung

Die Jagd ist eine Vitalkategorie a priori. Sie ist strukturellevolutiver Mechanismus und im Lebewesen als Aktivitätspotential angelegt. Das Jagdschema ist Ausdruck einer energetischen Kraft, die als Richtungssinn auf Ressourcenerwerb bzw. Ressourcensicherung gerichtetes Verhalten strukturiert und organisiert. Auf diese Weise ist Jagd ein sowohl natürliches als auch kulturelles Phänomen.

 

     Der Jagdbegriff

als wissenschaftliches Paradigma

                

 

Der Jagdbegriff steht nunmehr zu einer generellen eindeutigen und klaren wie ebenso wissenschaftlichen Anwendung in der Sicht. Im letzteren Fall sprechen wir von einem Paradigma Jagd. Die Definition des  oben herausgearbeiteten Jagdbegriffs ist folglich als universeller Jagdbegriff im Bereich von Natur und Kultur deutlich bestimmt und wissenschaftstauglich. Die bei 4.4.3 eingangs zitierte Jagddefinition von Kühnle (1994) ist nicht universell, sondern nur auf den kulturellen Raum, auf den Menschen als Jäger (insoweit aber universell in allen Dimensionen menschlicher Existenz) beschränkt. Sie ist begriffliches Segment des universellen Jagdbegriffs. Thomas Kuhn hat ein auf diese Weise geleistetes Paradigma  als Bezeichnung für eine Forschungsströmung in der Wissenschaft gewählt und damit in Natur- und Geisteswissenschaften die Grundlage der Möglichkeit einer disziplininternen wie multidisziplinären Vereinheitlichung im Begreifen und Interpretieren eines Forschungsobjektes geschaffen.[i] Kuhn hatte hierfür vor allem zwei Gründe. “Zum einen kann man eine Forschungsströmung als solche nicht genau definieren, sondern lediglich Theorien oder theorieähnliche Arbeiten anführen, die gewisse inhaltliche und begriffliche Merkmale beispielhaft gemeinsam haben.” Der zweite Grund, der Kuhn zu der Wahl dieses Begriffs bewog, ist in der Sprachwissenschaft zu suchen. Hier bezeichnet der Begriff Paradigma seit Ferdinand de Saussure ein Beispiel für diejenigen sprachlichen Einheiten, die in ein und demselben Kontext vorkommen können.[ii]

Ebenso wie ein sprachliches Paradigma immer nur im Rahmen eines bestimmten Kontextes untersucht werden kann, muß man nach Kuhn stets berücksichtigen, daß ein Hintergrund entsteht (sc. Stegmüller 1975: 497). Der geistesgeschichtliche Hintergrund der Wissenschaftsgemeinde bestimmt somit das gerade aktuelle Paradigma und damit (vorerst) fest, als was ein empirisches Phänomen gesehen wird.[iii] Nach Kuhn ist der Wandel von Paradigmen kein Indiz für einen Wissenszuwachs. Ähnliche Überlegungen klingen bereits im Jahre 1913 in Karl Jaspers’ ‘Allgemeiner Psychopathologie’ an: ‘Das Irren der Gesunden ist gemeinschaftliches Irren. Die Überzeugung hat ihre Wurzel darin, daß alle es glauben. Die Korrektur geschieht nicht durch Gründe, sondern durch Verwandlung der Zeitalter’.”[iv]

Mit dem Instrument einer motivationspsychologischen Untersuchung des Jagdmotivs bei Wildjägern (deutschen Waidmännern) versuchte Kühnle am Beispiel der Wildtierjagd sowohl Jagd in diesem speziellen “singulären” Bereich als auch – in Extrapolation in Verbindung mit Literatur – Jagd als universelles Phänomen zu analysieren[v] (vgl. 4.4.2 und 4.4.2.2). In einer späteren Arbeit mit einer Analytik des kulturanthropologischen Ansatzes in den “Meditationen über die Jagd” des spanischen Philosophen José Ortega y Gasset erweiterte Kühnle auf theoretischer Basis das in seiner Pilotstudie (s. vor) gefundene Ergebnis im Abgleich mit den Axiomen von Ortega durch Herausbilden logischer Aussagen (Urteile).[vi] Eine fundamentalontologische Deduktion des Phänomens Jagd in sowohl natürlich-biotischer als auch kultureller Relevanz wurde jedoch erst im Ergebnis der hier vorgelegten Arbeit geleistet.

Es war zunächst festzulegen, welche Struktur der Jagdbegriff haben muß.

Ganz allgemein ist davon auszugehen, daß ein Begriff Grundelement des menschlichen Denkens, Orientierens und Urteilens ist. Er dient der Wiedergabe und Abgrenzung von Phänomenen der Wirklichkeit oder von Aspekten, Eigenschaften und Typen der phänomenalen Welt. Er hat seine materielle Gestalt im Wort, im Ausdruck und Zeichen oder im Symbol, denen jeweils eine bestimmte Bedeutung zugeordnet wird, woraus sich Inhalt und Extension des Begriffs ergeben. Kühnle hat dies im Hinsehen auf den Jagdbegriff näher ausgeführt.[vii] Das Problem des wissenschaftlichen Begriffs Jagd besteht in der Spezifizierung und Präzisierung der Bedeutung von Ausdrücken, näherhin in der Methode, Relationen zwischen bestimmten (bestimmbaren) Zeichen und Substanzen oder Mengen von Bezeichnungen (Designaten) festzulegen. Diese Operation erfolgt methodisch im Wege der Begriffs­bildung, die in einer Definition des Begriffs endet (sc. Kühnle, a.a.O.). Im Sinne von Hans Lenk wird auf diese Weise auch ein Interpretationskonstrukt[viii] Jagd intendiert. Die Definition des Jagdbegriffs durch Kühnle wurde methodisch demgemäß in einem dichotomen Verfahren durchgeführt:

a) durch eine analytische Definition des Jagdbegriffs. Sie überstieg eine bloße Konvention über die Bedeutungsgleichheit von Ausdrücken und schrieb für bestimmte, aus der Alltags- und Umgangssprache herangezogene Ausdrücke eine präzise Bedeutung durch Festlegung bestimmter Eigenschaften und Merkmale vor, weil auch im Hinblick auf wissenschaftliche Relevanz das tatsächliche Vorhandensein dieser Eigenschaften in der vom Ausdruck definierten Realität deutlich gemacht werden kann bzw. von dieser Übereinstimmung abhängt.

b) durch operationale Definition, die den Bedeutungsgehalt des Jagdbegriffs durch Festlegung der bei Forschungsoperationen (z. B. Pilotstudie zur Jagdmotivation 1993) zu beobachtenden Ereignisse oder zu berücksichtigenden Merkmale bestimmt.

Es wird in einem nachfolgenden empirischen Forschungsprojekt (z. B. Zwillingsforschung) unter­sucht, ob die mit dem erarbeiteten Jagdbegriff herausgebildete Jagdtheorie aufgrund ihrer begrifflichen Vorgaben die theoretische Fruchtbarkeit des gefundenen Jagdbegriffs insbesondere im Dienste einer möglichen künftigen Jagdwissenschaft geschaffen hat und ob sie eine für alle an der wissenschaftlichen Fachsprache beteiligten Wissenschaftler nachkontrollierbare Präzision bzw. allgemeine Konsistenz (Widerspruchsfreiheit) der Anwendungsregeln leistet.

Die strukturalistische Auffassung empirischer Theorien[ix] ist inzwischen Grundlage des Denkens in der Wissenschaftstheorie und der analytischen Philosophie. Hiernach kann jede empirische Theorie als ein hierarchisch strukturiertes Gebilde aufgefaßt werden, das aus sogenannten “Theorie-Elementen” als den kleinsten Analyseeinheiten besteht, welche untereinander auf bestimmte Weise verbunden sind und so gleichsam ein Theorie-Netz bilden. Dabei spielen Begriffe, die sich weder direkt auf ein empirisches Phänomen beziehen noch durch andere, empirische Begriffe definierbar sind, ein zentrales Problem jeder empirisch ausgerichteten Wissenschaft. Den Ausgangspunkt bzw. die “Rahmentheorie” oder die “Basis” für einen hierarchischen Aufbau stellt ein bestimmtes Theorie-Element dar (Stegmüller 1987: 489). Es besteht aus einem Theoriekern K und einer Menge I intendierter Anwendungen (Balzer, Moulines und Sneed 1987: 36).

Die Jagd ist hiernach ein empirisches Phänomen in der Natur und in der Kultur unter strenger Anwendung des gefundenen Jagdbegriffs. Nach herkömmlicher Auffassung ist eine empirische Theorie eine Menge von Aussagen, die sich auf bestimmte empirische Phänomene beziehen. Deshalb wird hierbei auch von einem “Aussagenkonzept” oder der “statement view” empirischer Theorien gesprochen (Stegmüller 1979 d: 133 ff.). Vereinfacht formuliert ist eine Theorie ein System von Definitionen, Annahmen und Schlußfolgerungen.[x] Ohne daß es bis heute in der Gemeinde jagdthematisch tätiger Wissenschaftler überhaupt bemerkt wurde, hat José Ortega y Gasset in den “Meditationen über die Jagd” zwar ziemlich unauffällig, weil sprachlich elegant, aber doch streng logisch deduziert eine Jagdtheorie entwickelt, deren Entdeckung erstmals Kühnle 1994 gelang.[xi] Wie in der bahnbrechenden physikalischen Theorie von Newton (1643-1727) wurden zunächst die zentralen Begriffe wie Jagd und Beute usw. definiert (bei Newton Masse und Bewegung). Danach wurden die Grundannahmen (Axiome) formuliert.[xii] Aus den Axiomen werden Schlußfolgerungen abgeleitet, die als Theoreme aufgeführt sind. Theoreme beziehen sich schließlich auf die beobachtbaren Gegebenheiten und Erscheinungen (z. B. die Jagd ist ein Wettstreit zwischen der überlegenen und der unterlegenen Gattung).

Theorien werden nach ihrem wissenschaftlichen Wert beurteilt. Ein Kriterium hierfür ist ihr innerer Aufbau, die Präzision der Begriffsverwendung, die Eindeutigkeit der Definition, die logische Konsistenz abgeleiteter Aussagen: Schlußfolgerungen gegen die Gesetze der Logik lassen eine Theorie zusammen­brechen. Dabei kommt den zentralen Hypothesen, die in der Theorie Anwendung finden, entscheidende Bedeutung zu. Im Charakter einer Definitionsverbindung gilt eine Hypothese zugleich als eine Aussage, in der angegeben wird, wie sich eine Menge von Objekten auf zwei oder mehr Variablen und deren Ausprägung verteilt. Dieser Hypothesenstruktur kommt im vorliegenden Fall hoher Rang zu, weil mit dem Instrument der Persönlichkeitsforschung (Zwillingsforschung) untersucht wird, ob das naturale Jagdschema als Anlagedisposition einem oder mehreren Persönlichkeitsmerkmalen des modernen Wildjägers (z. B. der oft behauptete Beutetrieb, Jagdleidenschaft oder Jagdfieber, der erlebte Kick beim Töten des Tieres, das gelegentliche Auftreten des Verlustes von Selbstkontrolle) handlungsleitend zugrunde liegt. Hier steht nicht das universelle Merkmal Jagd qua definitionem, sondern das spezielle Merkmal “Jagdbedürfnis Wildjagd” im archaischen Sinne nach- und aufweisbar in der Sicht. Darauf eingeschränkt sind die hier auszuwählenden Hypothesen wissenschaftlich (u. U. experimentell) zu prüfende Tatsachenbehauptungen, denen eine wohlerwogene, theoretisch begründete, empirisch nahe­liegende, aber noch nicht allseitig gesicherte Erklärung zugrunde liegt. Der Wert einer Jagdtheorie als einer empirisch relevanten Theorie richtet sich insbesondere danach, in welchem Maße die Aussagen über die Wirklichkeit nicht im Widerspruch zur beobachtbaren Realität stehen.[xiii]

Im Aufbau der Jagdtheorie findet entsprechend dem hier logisch-deduktiv und phänomenologisch deskriptiv entwickelten Jagdbegriff auf der Basis dargebotener Evolutionstheorien eine Axiomati­sierungsmethode Anwendung, die Gesetze erkennt (Urteile, logische Aussagen, Evidenzphänomene usf.). Nach strukturalistischer Auffassung bezeichnet man eine Aussage in einer Theorie dann als Gesetz, wenn diese Aussage alle oder fast alle in dieser Theorie vorkommenden Grundmengen und Grundrelationen miteinander verknüpft (z. B. Stegmüller 1986 a: 23; 93; 186 b: 151 f.; 1986 c: 386).

Als Gesetz bzw. als Axiom wird demgemäß das hier herausgearbeitete und begründete Urteil durchgängig für eine Jagdtheorie notwendig angewendet:

Die Bedingung der Möglichkeit von Evolution ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes von Jagd. Die Bedingung der Möglichkeit von kultureller Evolution ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes von kultureller Jagd.

Läßt sich ein solches Verknüpfungsgesetz auf die Mehrzahl seiner möglichen Anwendungen beziehen, dann wird es überdies als Fundamentalgesetz bezeichnet.[xiv]

Die im Hinsehen auf logische Beweise schwierige Frage einer Jagdtheorie, wie sie hier vorgelegt wird, lautet: Gibt es einen vernünftigen Grund bzw. einen empirischen Beweis für die Aussage der Theorie, das naturale Jagdschema sei zu einem kulturellen Denk- und Handlungsschema evoluiert? Was genau ist mit dem Begriff “Kulturevolution” gemeint?

Kulturselektionistische Theorien definieren die Weitergabe von kulturellen Merkmalen auf der Grundlage von Lehr- und Lernprozessen im weitesten Sinne (cultural transmission bzw. cultural inheritance).[xv] Kulturelle Vererbung stellt also bloß eine Analogie zur genetischen Vererbung dar. Sensu Durham (1991: 426) ist demgemäß die Voraussetzung für die Weitergabe kultureller Merkmale nicht die geschlechtliche Fortpflanzung, sondern Kommunikation. Jede Kommunikation aber setzt ein System von Zeichen voraus, mit deren Hilfe verbale oder nonverbale “Botschaften” (Interaktionen) vermittelt werden können. Damit ist dieses System nun aber auch ein Ergebnis biokultureller Evolution. Die Unüberwindbarkeit der “Weismannschen Barriere” darf aber nicht aus dem Blick gelangen. August Weismann (1834-1914) hat 1885 als erster den experimentellen Nachweis erbracht, daß es keine Vererbung erworbener Eigenschaften geben kann (Ernst Mayr 1984: 559 f). Seine Arbeit läutete den Beginn des Neodarwinismus ein (Ernst Mayr: 1984: 431 und 559). Jean Baptiste de Lamarck war noch von der genetischen Tradierung erworbener Eigenschaften ausgegangen; sein Ansatz ist nur für Kulturevolution richtig: Biotische Natur evoluiert darwinistisch, Kultur evoluiert lamarckistisch.

Für den zweiten Teilansatz des oben angegebenen Fundamentalaxioms der Jagdtheorie (Die Bedingung der Möglichkeit kultureller Evolution ist zugleich …) ist der Ausgangspunkt der Entwicklung in der Form eines “kulturellen Systems” entscheidend, das ein gestaltendes Theorieelement bildet. “Kulturelles System” wird hier im Sinne kulturselektionistischer Theorien definiert, in denen ein derartiges System als der Gesamtbestand an kulturellen Merkmalen innerhalb einer Gesellschaft verstanden wird: Kulturpool. Der Kulturpool einer Gesellschaft ist dann exakt beschrieben, wenn die Verteilung von kulturellen Merkmalen innerhalb einer Gesellschaft vollständig beschrieben ist (Durham 1991: 190). Durham, Cavalli-Sforza und Feldmann sowie Boyd und Richerson bedienen sich bei einer Zustandsbeschreibung eines Kulturpools einer unmittelbar aus der Populationsgenetik entnommenen mathematischen Gleichung:

Wenn Na die Anzahl der Menschen bezeichnet, die das kulturelle Merkmal a tragen, und Nb die Anzahl derjenigen, die das kulturelle Merkmal b tragen, so beträgt die Häufigkeitsverteilung H von Na in einer untersuchten Gesellschaft:

 

                                                      Na

                               H(Ha) = ———————

                                                Na  +  Nb

 

beziehungsweise von Nb:

 

                                                      Nb

                               H(Hb) = ———————

                                                Nb  +  Na

 

Mit diesen beiden Häufigkeitsverteilungen ist die Verteilung zweier kultureller Merkmale a und b in einer Gesellschaft, die aus N Individuen besteht, vollständig beschrieben. Zusammengezählt ergeben nämlich die Häufigkeitsverteilungen H(Na) und H(Nb) immer die Summe 1, nämlich einen Kulturpool.

Die frühen, steinzeitlichen Jägergesellschaften (Hordentypus) bzw. jene der jüngeren Stein­zeit besaßen, wie wir aus den empirischen Befunden der Paläoanthropologie wissen, worauf in dieser Arbeit ausführlich eingegangen wurde, nur wenige, eigentlich bloß zwei kulturelle Merkmale: Sie waren in erster Linie Jäger- und im Nachtrab (i. d. Regel Frauen) Sammlergesellschaften.

Die hier durchzuführende kulturanthropologische Betrachtung im Rahmen einer Jagdtheorie kann damit schlüssig in Anlehnung an José Ortega y Gasset von einem Kulturpool ausgehen, den wir mit Jägerkultur bezeichnen, nämlich das Übergangsphänomen vom Zustand des vorkulturellen zum kulturellen Menschen. Damit kann zugleich gezeigt werden, daß Jagd und Kultur in einer Natur-Kultur-Interdependenz der Phylogenese des Menschen aufweisbar sind.

Niemand wird heute ernsthaft versuchen wollen, alle kulturellen Merkmale innerhalb einer Gesellschaft zu bestimmen. Ein kulturelles Merkmal kann von nur einem einzigen Menschen, aber auch von einer Vielzahl von Menschen getragen sein. Man wird deshalb jedes kulturelle Merkmal mindestens einem Menschen zuordnen. Dies ermöglicht die Rückführbarkeit aller heute wahrnehmbaren kulturellen Merkmale im Sinne kulturselektionistischer Theorien auf ihren Ursprung, auf Jagdkultur im ursprüng­lichen Sinne. Das heute nur noch in geringem Umfang repräsentierte kulturelle Merkmal “Wildjäger” könnte folglich als Schlüssel zum Verständnis von Kultur überhaupt dienen; daran jedenfalls ein vitales Interesse zu haben, diese Neigung gilt für jeden historisch bewußt lebenden modernen Menschen, der über Urteilskraft verfügt.

Aus der Universalität des Jagdbegriffs in Extension auf alle Horizonte der biotischen Natur ergibt sich notwendig, daß die Absurdität der Behauptung, Jagd sei ein menschliches Spezifikum als In-sich-Beweis gegen Logik deutlich wird: Wäre die Jagd nämlich ein menschliches Spezifikum, dann wäre sie (di immortales!) zugleich der Schöpfungsakt. 

 

Aufbau der Jagdtheorie 

Die vorgelegte Jagdtheorie ist der synergetische Effekt des Zusammenspiels von Erkenntnistheorie (im Sinne Kants) und Wissenschaftstheorie (insbesondere im Sinne von Karl Popper) nach logischen Gesetzen (vgl. 5.2.1).

Die Bedingung der Möglichkeit von Evolution und zugleich auch jene von den Jagdgegen­ständen ist das Leben. Die empirische Ebene ist die phänomenologisch erfahrbare Ebene von Leben, also Leben im Wie seiner Erscheinung. An dieser Stelle setzt Kants Erkenntnistheorie der Erfahrung nach Kritik der reinen Vernunft ein (KrV–B 197), der gemäß die Ermöglichungsbedingung von Erfahrung zugleich die Ermöglichungsbedingung der Erfahrungsgegenstände ist, wie dies aktuell durch die moderne Hirnforschung (G. Roth: Radikaler Konstruktivismus) empirisch bestätigt worden ist. Hiernach findet Kants Urteil mit Bezug a. d. Jagdtheorie eine mögliche und zulässige Anwendung:

“Die Möglichkeit der Erfahrung ist also das, was allen unseren Erkenntnissen a priori objektive Realität gibt. Nun beruht Erfahrung auf der synthetischen Einheit der Erscheinungen, d. i. auf der Synthesis nach Begriffen vom Gegenstande der Erscheinungen überhaupt, ohne welche sie nicht einmal Erkenntnis, sondern eine Rhapsodie von Wahrnehmungen sein würde …”, die folglich nicht eine Bewußtseinseinheit im Sinne des Verstandes, des “Ich denke” sein kann. (Kant, KrV–B 195)

Das Erfahrungs- bzw. Erkenntnisobjekt Jagd muß also, um erkannt zu werden, bewußtseins­thematisch phänomenologisch erfaßbar sein und in der synthetischen Apperzeption gipfeln, die nur der kategoriale Verstand leisten kann. (vgl. Kant, KrV Anm. zu B 134)

 

Aufweis des Mechanismus: 

Tiere haben wie alle Menschen (also auch die Menschen ohne Verstand!) Gegenstandsbewußtsein durch eine “Rhapsodie von Wahrnehmungen”. Sie haben also Vorstellungen. Vorstellungen sind nach Kant schon mit ihrem Entstehen im Falle des vollsinnigen Menschen Objekte des Verstandes. Das Phänomen der Erscheinung wird als die Wirklichkeit in seiner Funktion bewußt gemacht. Das ist zur Zeit auch noch die möglichem komplexen anthropologischen Wissen und einer höheren Erkenntnis entzogene Bewußtseinslage bei den meisten Jägern und ihren Intelligenzen (Eliten, die sich mit der Jagd und auch mit Jagdmoral befassen – es sind in der Regel Funktionäre von Jagdverbänden, ihre Vordenker und Akteure der Jagdmedien). Das Phänomen in der synthetischen Einheit der Apperzeption, also als Verstandesgegenstand, die Jagd in ihren strukturellen Gegebenheiten wird bisher mangels Verstandes­gebrauch (sc. Kant: Was ist Aufklärung?) nicht begriffen. Die Jagd als erkenntnis- und als wissen­schaftstheoretischer Erfahrungsgegenstand setzt die Kenntnis des Strukturprinzips mitsamt des Wissens bezüglich des hierzu notwendigen methodischen Zuganges voraus, um die Ebene der Funktion des Phänomens bzw. seine Repräsentation in der Wirklichkeit (Welt, Natur, Kultur) verstehen, beschreiben, erforschen und interpretieren zu können. Dieses Prinzip wird methodisch von der Jagdtheorie erfaßt.

Sie ist auf vier erkenntnistheoretischen Säulen aufgebaut und hat folgende Kernaussage:

Die Jagd ist eine Vitalkategorie des Lebens, und sie zeigt sich so als eine universelle Erscheinung in Natur und Kultur. Ihr Erfahrungsgegenstand ist das Leben in der Repräsentation durch das Lebewesen. In ihm ist Jagd ein auf Ressourcen gerichtetes Aktivitätspotential zur Selbst- und Arterhaltung, zur Replikation und Transformation mittels Metabolismus und Wissenserwerb durch Lernen und Lehren. Die kulturelle Jagd ist im Sinne eines Quantensprungs das Ergebnis der biotischen Evolution (neocorticale Evolution) in kulturanthropologischer Manifestation mittels Evolution des Verstandes. Ein mögliches Bedürfnis einiger moderner Menschen, aus archaisch-animalischer Triebstruktur gesteuerte Motive, Wildtiere zu töten, als Verwirklichung eines teilweise kulturresistenten Selbst umzusetzen und dabei Lust bzw. Glück und Freude zu erleben, wäre Ausdruck einer abnormen Persönlichkeit und Ausdruck der Spaltung des Realitätsprinzips in ein und demselben Individuum. Es handelte sich um eine Späterscheinung einer nicht kultivierten Anlage innerhalb der Conditio humana.

Die Jagdtheorie setzt Leben und biotische Evolution als ihre Bedingungselemente notwendig voraus. Am Beispiel der Molekularbiologie wurde gezeigt, daß Prozesse und Mechanismen, die mit der Entstehung von Leben erst beobachtbar bzw. aufweisbar werden, auf der physikalischen Ebene (unbelebte Materie) nicht feststellbar sind (3.1.1.5). Mein fundamentalontologischer Ansatz zur Erklärung und Beschreibung des Phänomens Jagd nahm deshalb Rekurs auf das molekularbiologische Modell etwa im Sinne von Manfred Eigen et alii. Kompartimentbildung und Hyperzyklen werden von mir demgemäß als die Sphäre eines praktischen Anwendungsfalles der Selbstorganisationstheorie in den Blick genommen, die eine beobachtbare und beschreibbare Ebene für den Prozeß zuläßt, den wir nunmehr mit Jagd begreifen (4.3). Von der Membranbildung (der Zelle) zum mehrzelligen Organismus als dem Träger von Leben, von dem Lebewesen also ist hier die Rede. Es handelt sich um einen ähnlich fundamentalen Ansatz, wie er von Helmuth Plessner (3.3.3) in Absicht einer Anthropologie in den “Stufen” gewählt wurde und mit dem Erklärungsmodell bezüglich des sich-selbst-wissenden Lebewesens (Mensch) seinen Kulminationspunkt in erkenntnistheoretischer Vollendung fand: der Mensch als ein Wesen der Natur-Kultur-Verschränkung.[xvi]

Die Jagdtheorie ist eine empirische Theorie. Die Aussagen (Urteile) sind axiomatisiert bzw. empirisch überprüfbar. Sie besteht deshalb wesentlich aus einer sich auf empirische Phänomene bezie­henden Menge von Aussagen. Sie ist konventionaliter ein System von Definitionen, Annahmen und Schlußfolgerungen, die sich in ihrem logischen Aufbau verschiedener Axiome und Theoreme bedienen. Die Jagdtheorie berücksichtigt die aktuelle Problematik von Zufall und Anpassung aus den konfligierenden Ansätzen von Stephen Jay Gould[xvii] bzw. Richard Dawkins[xviii]. Gould erklärt evolutiven Wandel (Fortschritt) als eine Zu­nahme von Komplexität, die er auf Kontingenz zurückführt. Dawkins vernachlässigt eine Erklä­rung von Evolution als Fortschritt, der die Annahme zunehmender Intelligenz, Komplexität und Gehirngröße zugrunde liegt. Für ihn besteht evolutiver Fortschritt in der sich aufaddierenden Anzahl von Eigenschaften, die zu den für eine Gruppe charakteristischen Anpassungen beitragen: Adaptive Evolution muß grundsätzlich graduell und kumulativ sein, und deshalb müssen komplexe Anpassungen auch “progressiv” sein. Dawkins hält ein sogenanntes “evolutionäres Wettrüsten” für den Motor progressiven Wandels im Sinne der Räuber-Beute-Koevolution. Die Teilnehmer koevolutiver Prozesse überleben deshalb nicht notwendig zunehmend besser, sondern ihre Überlebensausstattung für den Kampf wird immer “ausgefeilter” (vgl. 3.2.2). Da Lebewesen im Sinne von Dawkins eine Disposition für Fortschritt in diesem Sinne in ihrer genetischen Grundausstattung besitzen, ist evolutiver Fortschritt nicht selten, sondern ein universelles Phänomen in der biotischen Natur.

Die Jagdtheorie sieht in den Positionen von Gould bzw. Dawkins keinen grundsätzlichen Wider­spruch. Deshalb geht sie sowohl von einem möglichen Zufallsprinzip, von Komplexitätssteigerung als auch vom Prozeß des koevolutiv bedingten Wandels aus, der meines Erachtens gerade dadurch Impulse erhalten kann, daß Zufall und adaptive Strategien interagieren oder koinzidieren.

Auf ihren Grundpfeilern Leben und Evolution liegt die Argumentationsbasis der Jagdtheorie mit der weiteren Grundannahme eines Aktivitätspotentials. Lebewesen sind (in der Regel) Selbstbeweger (3.2). Das Aktivitätspotential, das jedem Lebewesen inhärent ist, verfügt über einen Steuerungsmechanismus, über eine Kategorie des Lebendigen, die das Verhalten des Lebewesens strukturiert und organisiert. Diese Kategorie des Lebendigen (Vitalkategorie, vgl. 3.3) nennen wir die Jagd. Ihr immanent ist ein Richtungssinn, der nach innen gewendet die Selbstorganisation des Organismus bewirkt und der nach außen gerichtet zur Selbsterhaltung (Fortpflanzung, Metabolismus) Ressourcen intendiert (bei beseelten Organismen, ausgestattet mit einem Zentralorgan, kommt Intentionalität in Betracht). Das hierzu beobachtbare Organisationsschema nennen wir das Jagdschema (3.1.1.5 und 4).

Man muß folglich Leben und Lebensträger in struktureller und funktionaler Einheit zusammen­denken, um Leben überhaupt begreifen zu können.

Leben als stofflich unabhängige Entität im Sinne eines universell gedachten Seins (etwa in Teilen der Philosophie mit der Annahme eines erfahrungsjenseitigen Raumes)[xix] ist nicht Leben im Sinne möglicher evoluierender Prozesse, sondern Leben im Sinne von Metaphysik. Der religiöse Glaube an ein unkörperliches Leben (z. B. an die Unabhängigkeit der Seele vom Körper, an ein mögliches Leben nach dem Tode und nach der Paralyse des Leibes) wird dadurch nicht beschädigt. Keine Religion hat bisher von einer Evolution im Jenseits gesprochen. Deshalb gilt als Grundaussage dieser Arbeit der Satz: Das Leben ist als Ereignis der biotischen Evolution nur in Verbindung mit Materie möglich.

Auf dieser Grundlage wird zugleich das Ergebnis des erkenntnistheoretischen Teils dieser Arbeit luzid und in Form eines Gesetzes (Axiom) konsistent dargeboten (Jagdaxiom):

Die Bedingung der Möglichkeit von Evolution ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes von Jagd. Die Bedingung der Möglichkeit kultureller Evolution ist zugleich die Bedingung der Möglichkeit des Gegenstandes von kultureller Jagd (4.3).

Objekte von Jagd sind folglich Lebensträger, eine Zelle, ein Organismus (3.2.3.2), ein Lebewesen (3.2.3.1).[xx]

Die fundamentalontologische Deduktion der Jagd in Durchführung dieser Arbeit zeigt am Beispiel der Schleimpilze (3.2 bis 4), daß Jagd ein universelles Phänomen der biotischen Natur ist.

Der amerikanische Biologe und Evolutionsforscher John Tyler Bonner nimmt die Reproduktionsmodi von Schleimpilzen zum Anlaß seiner Forschung, nachzuweisen, daß innerhalb der Ontogenese ein und desselben Organismus eine Transformation von phytogenetischen zu tierischen Strukturen erfolgt. Strukturell als Pflanzen im weitesten Sinne entstanden, bilden Schleimpilze unmittelbar danach im gleichen Prozeß mit der Jagd nach Bakterien zellakkumulativ einen tierischen Organismus aus. Es kann also nicht a priori von jagenden bzw. nicht jagenden Arten gesprochen werden. Im langen Zeitstrom der Evolution und Koevolution entwickelten sich einige Arten mehr und mehr parasitär und gelangten in manchen Fällen damit zu einer Vereinfachung des Körperbaus (auf diese Folgen der parasitischen Lebensformen weist Stephen Jay Gould hin!). Die Folge war eine Abnahme der Komplexität und Zunahme des corticalen Fortschritts (Mensch), der basalen Ermöglichungsbedingungen des Denkens.

Mit dem Jagdaxiom wird Jagd als universelle Entität des Lebens erklärt und beschrieben. Der erste Satz des Gesetzes verknüpft die natürlichen (vorkulturellen) Relationen im Gefüge der Definition des Jagdbegriffs: Vitalkategorie a priori, Aktivitätspotential und Jagdschema. Auf dieser Ebene des Leben­digen tritt Jagd funktional im Ausdruck eines Reiz-Reaktions-Mechanismus in Erscheinung, als momentum movens des Instinkts. Hier ist das Objekt von Jagd ein Organismus, ungeschieden von Pflanze und Tier, soweit die grundsätzliche Aussage zu bedenken ist. Der Aufbau einer zoologischen Hierarchie ist durch das Gesetz nicht berührt, er wird aber von ihm fundiert. Durch den Begriff von Evolution ist die Interdependenz, nämlich die gesetzmäßige Wechselwirkung von Lebewesen und Umwelt der Aussage des Gesetzes immanent.

Der zweite Satz des Gesetzes nimmt Jagd als kulturelles Phänomen in den Blick. Er reduziert Jagd auf Lebewesen, die aufgrund kognitiver Kompetenz Ausdruck eines selbstreferentiellen Systems sind (Menschen).

Innerhalb der natürlichen (biotischen) Evolution sind vor allem aufgrund des koevolutiven Mechanis­mus jagende Arten und Beutetierarten entstanden. Es bildete sich eine sogenannte zoologische Hierarchie heraus. Dabei darf entsprechend der fundamentalontologischen Deduktion der Jagd nicht übersehen werden, daß Lebewesen, deren Ressourcen ausschließlich pflanzlicher Art sind, ebenfalls jagen, nämlich pflanzliche Organismen. Wegen des hohen Bekanntheitsgrades bedarf es keiner Kasuistik für den Hinweis, daß es zwischen Jägern, die nur tierische Nahrung aufnehmen, und Tieren, die nur von pflanzlicher Nahrung leben, eine mannigfaltige Mischform gibt. Der Mensch kann als pars pro toto in der Sicht stehen.

Bei fast allen jagenden Spezies in der Natur ist eine Koevolution zwischen Jägerpopulationen und Beutetierpopulationen beobachtbar.[xxi]

Dieser Prozeß als natürlicher Entwicklungsprozeß ist bei dem Menschen nicht feststellbar. Statt­dessen verläuft im Falle des Menschen Koevolution auf einer Metaebene zur natürlichen Koevolution. Corticale Prozesse koevoluieren mit kulturellen Prozessen, oder kurz: Es gibt eine Koevolution zwischen der Neocortex und der Kultur, näherhin zwischen Geist und Gehirn. Gemäß dem Jagdaxiom sind Ermöglichungsbedingungen von Kultur zugleich die Ermöglichungsbedingungen des Gegenstandes von kultureller Jagd. Gegenstand der kulturellen Jagd ist beispielsweise Wissen. Es sind darüber hinaus alle geistigen und seelisch-kognitiven Strebungen des Menschen bzw. die Ziele und Zwecke solcher Strebungen. Es kann Erkenntnis ebenso in der Sicht stehen wie Glück und Selbsterfahrung.[xxii],[xxiii]

Die Jagd im Ausdruck des naturalen Jagdschemas evoluierte demgemäß unter kulturellen Bedingun­gen (kognitive Strukturen) zum Denk- und Handlungsschema. Das wohl herausragende Beispiel in der Geistesgeschichte des Menschen ist das reife Spätwerk des Nikolaus von Kues (1401-1464), das als erkenntnistheoretisches Jagdoeuvre an der Schwelle zur Neuzeit die Philosophie Kants bereits vorausahnte: “De venatione sapientiae”.[xxiv] Das kulturelle Jagdschema (Denk- und Handlungsschema) ist sowohl auf materielle wie auf geistige und im weitesten Sinne – entsprechend der Bedürfnisnatur des Menschen – auf immaterielle Güter gerichtet. Über tierischen Intentionalitätsmechanismus hinaus erlangt der Mensch geistige Güter nur vermittelt, nicht direkt. Er ist ein Lebewesen, das dem anthro­pologischen Grundgesetz der vermittelten Unmittelbarkeit unterliegt.[xxv] Als indirekte Direktheit tritt das Machtmotiv im Dienste oft unbewußt erstrebter Naturbeherrschung vermittels des Lebens bzw. des Todes des Wildes hinter das unmittelbare Töten zurück und wird bewußtseinsthematisch vom Jäger deshalb nicht begriffen.

Die aktuelle Hirnforschung läßt die Auffassungen einer Trennung, einer Dichotomie von Geist und Körper, von Seele und Leib, wie es über lange Zeit Grundlage menschlichen Selbstverständnisses gewesen ist, nur eine historische und damit obsolete Rolle spielen.

Der Hirnforscher Wolf Singer macht deutlich, daß sich das Gehirn uns heute als ein “extrem distributiv organisiertes System”[xxvi] darbietet, in dem zahllose Teilaspekte der einlaufenden Signale parzelliert und parallel abgearbeitet werden. Die Erklärung des Jäger-Ich auf der kognitiven Ebene ist nur in einem synergetischen Effekt multidisziplinärer Forschung möglich. Singer weist auf die Notwen­digkeit und Fruchtbarkeit synergetischer Effekte in der Hirnforschung hin, die aufgrund der “Reduktion kognitiver Prozesse und Phänomene auf ihr neuronales Substrat” eine Kooperation zwischen ehemals eigenständigen psychologischen und neurobiologischen Forschungsrichtungen bedingen. Die hier durchgeführte und mit der Jagdtheorie abgeschlossene Untersuchung im theoretischen Teil der Arbeit war deshalb auch multidisziplinär angelegt, weil ein Verstehen und Begreifen des insbesondere kulturellen Phänomens Jagd ein Verstehen des Menschen überhaupt voraussetzt (Kulturanthropologie, Psychologie, Philosophie, Biologie, Human-Ethologie). Die Erklärung des kulturellen Jagdschemas aus dem naturalen Jagdschema wird also möglich, weil die Hirnforschung den kognitiven Funktionalismus des “Verstehens”, der beobachtbare Phänomene auf der nächstniedrigen Analyseebene und den dort vorfindlichen Prozessen gemäß intersubjektiver Auffassung benutzt, einsetzt, um einen demgemäß reduktionistischen Ansatz methodisch auf alle relevanten Ebenen lückenlos auszudehnen. “Sie wird die Phänomene neuronaler Kommunikation auf ihre molekularen und zellulären Grundlagen zurückführen und ist dabei, Verhaltensphänomene, einschließlich psychischer und mentaler Funktionen, durch neuronale Kommuni­kationsprozesse zu erklären.”[xxvii]

Der Kumulus des Erkenntnisfortschritts der Hirnforschung auf diesem Wege ist, woran kein Zweifel bestehen kann, die Aufdeckung des naturalen Jagdschemas als Fundierungselement des kognitiven Denk- und Handlungsschemas mit allen zweifellos problematischen Folgen, auf die Singer hinweist: “Die Prognose hat weitreichende erkenntnistheoretische und ethische Implikationen, gehören doch zu den Explananda nicht nur Sinnesfunktionen und motorische Leistungen, sondern auch die unser Menschenbild prägenden Erfahrungen psychischen Erlebens: Unsere Motivationen, Denkstrukturen, Wahrnehmungen und Empfindungen.”[xxviii]

Die Natur des Menschen ist die eines Lebewesens, das durch eine interdependente Natur-Kultur-Verschränkung geprägt ist und auf diese Weise lebensweltlich als Jäger-Natur mannigfaltige Aus­drucksformen erhält. Die Wechselwirkung des naturalen Jagdschemas (als enthalten in seiner kognitiven Ausdrucksform) mit dem kulturellen Jagdschema bildet die Bedürfnisfolie, unter der Verhalten generiert wird.

Die moderne Wildtierjagd ist deshalb auf der Seite der Bedürfnisstruktur des hypermodernen Menschen nichts anderes als die vermittelte Unmittelbarkeit der Möglichkeit von Erfahrung urtypischen Menschseins, einer Erfahrung also der urtypischen (archaischen) Struktur menschlicher Kulturentwick­lung. Die Strukturseite der modernen Wildtierjagd ist das unverdeckte Offenbaren des Menschen in der Grundverfaßtheit seiner Natur vor allem im Ausdruck des Machtmotivs und zugleich aufgrund des Prinzips Verantwortung für seine Handlungsfolgen Ausdruck seiner Vernunft. Moderne Wildjagd ist das Muster für Natur-Kultur-Interaktion. Das kulturelle Jagdschema überformt das naturale Jagd­schema und ist es zugleich selbst auf der kulturellen Ebene kognitiver Vollzüge. Die primitive Erlebens- und Erfahrungsebene des Wildjägers kann deshalb Muster und Abbild eines Erlebens einer höheren Verstehens- und Erkenntnisebene des Wissenschaftlers oder Philosophen sein. Die Sphäre, mit der alle Arten jagdlicher Vollzüge in Verbindung stehen bzw. interagieren, ist die molekulare, neuronale, zelluläre Ebene des distributiv organisierten Zentralsystems, des Gehirns. Man kann stark vereinfacht sagen: Wer sich auf der Grundlage seiner hirnorganischen Prozesse verstehen will, der vermag diese schwierige selbstanalytische Aufgabe leichter zu lösen, wenn er das Muster analysiert: Wildtierjagd und Wildtierjäger. Dabei wird erkannt, daß das mit der Wildtierjagd verbundene Töten von Wildtieren nicht von atavistischen Strebungen ausgelöst ist, sondern Vermittlungsebene einer Unmittelbarkeit bildet, die in dem kognitiven Bedürfnis menschlicher Selbstauslegung ihre Ursache hat. Das Urmotiv von Goethes Faust ( … daß ich erkenne, was die Welt/ im Innersten zusammenhält) ist das elementare und zentrale Motiv des Menschen: Das Machtmotiv als Herrschaftsmotiv über die Natur, näherhin über die Gesetze der Evolution, in deren “Plan” die vitale Existenz des Wildtieres, sein Leben, sein Dasein und Wohlsein und nicht sein Tod zu des modernen Hobbyjägers Glück und Freude vorgesehen ist. Der Jäger manifestiert also in jedem einzelnen Jagdakt, in dem ein Tier getötet wird, seine “virtuelle” Macht über die Natur und ihre Gesetze. Der Jäger jagt folglich nicht, um zu töten. Die im Vollzuge der Wildtierjagd intendierte Ressource ist also nicht eine natürliche Ressource, wie sie archaisch ein Grundbedürfnis gewesen ist, sondern es sind geistige Güter im weitesten Sinne. Deshalb ist das, was intendiert ist, nicht durch Kausalität determiniert, sondern durch Zwecke (Ziele) bestimmt bzw. bestimmbar. Wer den Hasen, den Rehbock, das Wildschwein, den Büffel oder Löwen jagt, intendiert in aller Regel in Wirklichkeit nicht das Wild als Beute, sondern das Glück der Erfahrung der Natur der Natur des Menschen, und seine Natur findet in erster Linie ihren Ausdruck im Machtmotiv, dem Substrat des Egoismus. Das Machtmotiv des Menschen ist zugleich Ausdruck von Freiheit: Ich besitze als Jäger die Macht, der Natur bzw. dem Räderwerk der Evolution vermittels Töten in die Speichen zu greifen. Macht und Selbstbewußtsein werden hier zu wechselbezüglichen Größen. Darin liegt zugleich aber auch die moralische Dimension der Wildjagd: die Macht als Lebensgefühl des Menschen im Ausdruck seiner Freiheit (Vernunft!) ist die Fähigkeit und das Bedürfnis zur Naturbeherrschung in doppelter Weise. Die Natur der Natur des Menschen (Jägers) begehrt Macht über die äußere Natur und ihre Gesetze wie ebenso über die eigene Natur (Selbstbeherrschung). Hierin liegt der eigentliche Dreh der Chance eines sozialen Jägerethos. Bis das im allgemeinen Erkenntnisfortschritt begriffen werden kann, bedarf es allerdings noch eines Fortschritts der Hirnforschung und einer kulturevolutiven Weiterentwicklung jener, die noch heute mit wenig Erfolg darüber nachdenken. Für den sowohl naturwissenschaftlichen wie geisteswissenschaftlichen Erkenntnistheoretiker ist ein Verstehen dieser Art längst geleistet. Über Selbstverständlichkeiten auf dieser Ebene wird in der Forschergemeinde kaum noch ein Wort verloren. 

 

KRITIK 

Der Schematismus des Verstandes vs. Schematismus der Natur

 

Im Aufbau der Jagdtheorie kam die Multidisziplinarität der Arbeit trotz des hierauf eigens angelegten Konzepts im Bereich der Philosophie und Psychologie zu kurz. Dieser bloß scheinbare Mangel hat Methode: Wäre die vorausgegangene Deduktion mit Schwerpunkt auf Biologie und Evolutions­forschung, auf Anthropologie und Molekularbiologie bzw. Genetik einer zu starken Spiegelung in den Horizonten der Philosophie bzw. der Psychologie ausgesetzt gewesen, hätte eine durchgängig empirisch angelegte Argumentation leicht den Leitfaden der naturwissenschaftlichen Vorgabe aus dem Blick verloren.

Eine Grundaussage der Jagdtheorie lautet: Das naturale Jagdschema ist ein auf Ressourcenerwerb bzw. Ressourcensicherung gerichteter Steuerungsmechanismus eines im Lebewesen angelegten Aktivitätspotentials (Energie), in dem die Jagd als Vitalkategorie a priori in Erscheinung tritt und zum Ausdruck kommt. Die Bezugsebene ist pflanzliches bzw. tierisches Leben. Ganz allgemein handelt sich es bei natürlichen Prozessen dieser Art Jagd um in der Regel physiologisch evozierte und gesteuerte Formen des organismischen Verhaltens im Ausdruck einer Innenwelt-Außenwelt-Interaktion. Homöostase, Instinktverhalten, Metabolismus usf. sind systemimmanente Größen. Aus dem Aspekt des fundamentalontologischen Ansatzes dieser Arbeit besteht bis hierhin kein Anlaß, die aus Axiomen und logischen Urteilssätzen fundierte Deduktion in Zweifel zu ziehen. Selbst dann noch, wenn man den Menschen in den Blick nimmt, kann dieser naturalistisch zu bezeichnende Aspekt der Jagd als ein zuverlässiges Interpretationskonstrukt des Phänomens Jagd im Sinne eines natürlichen Phänomens ohne weitere Spezifizierung der Parameter in Geltung sein. Gemeint ist der vorkulturelle Mensch als Jäger, der sogenannte Nahrungsjäger. Auf dieser Stufe wird von mir sprachliche Kommunikation und plan­volles Handeln (Jagdstrategien, Einführen des Hundes als Jagdgehilfen o. ä.) noch nicht angenommen.

Problematisch wird die theorieimmanente weitere Grundaussage: “Die Jagd im Ausdruck des naturalen Jagdschemas evoluierte unter kulturellen Bedingungen (kognitive Strukturen) zum Denk- und Handlungsschema.” Ist es zulässig, von einer Evolution des naturalen Jagd­schemas zu einem kulturellen Jagdschema, also zu einer kognitiven Form desselben, das wir mit Denk- und Handlungsschema bezeichnen, zu sprechen?

Die Jagdtheorie wird von einem Jagdaxiom fundiert, das im zweiten Teil der axiomatisierten Aussage die Ermöglichungsbedingung von kultureller Evolution mit der Ermöglichungsbedin­gung des Gegenstandes der kulturellen Jagd homolog setzt: Demgemäß geht die Jagdtheorie von einer evolutiven Gesetzmäßigkeit aus, die Substrat der sowohl biotischen wie auch kulturellen Evolution ist und beide notwendig verbindet (s. 4.4.3.1). Es besteht eine Interdependenz zwischen Kultur und kulturell intendierten Gütern vermittels Geist. Um der Schwierigkeit zu entgehen, die darin besteht, Geist als empirische Größe darbieten zu können, benutze ich statt dessen den Terminus “Kognition”, der in der neueren Philosophie ebenso begrifflich klar und deutlich vermittelt (definiert) ist wie in der Psychologie. Damit befindet sich die Jagdtheorie in einem bewußtseinstheoretischen Raum, zu dem sie ihre Zugangsberechtigung beweisen muß. Sie behauptet, für Kulturevolution bestehe ein Analogon zur natürlichen Koevolution auf einer Metaebene. Demgemäß besteht eine Koevolution zwischen Kultur und Gehirn bzw. Bewußtsein und der materiellen Bedingung von Bewußtseinsrepräsentanz. Gegenstände der kulturellen Jagd sind nach dem Jagdaxiom alle intentionalen Gegenstände im Sinne geistiger und emotionaler Güter, von denen wir für den Fall vollsinniger Menschen wissen, daß sie kognitiv vermittelt oder kognitionsverschränkt im sinnlich-empirischen Raum auftreten. Gemeint damit ist die Interaktion und wechselseitige Abhängigkeit der Welten 1, 2 und 3 im Sinne von Karl Popper.[xxix] Das sichere Wissen über das Faktum der Evolution der Großhirnrinde des Menschen zieht die unsicher machende Frage nach der Möglichkeit einer Evolution des Bewußtseins nach sich. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, die die Feststellungen einerseits gründen, andererseits rechtfertigen, das Gegenstandsbe­wußtsein des Tieres unter der Lenkung des naturalen Jagdschemas, das tierisches Verhalten strukturiert und organisiert, sei im Ausdruck des kulturellen Jagdschemas zugleich die evolutive Fortentwicklung des Bewußtseins und nicht bloß eine Evolution der Basis der geistigen Vollzüge (des Gehirns)? Gibt es näherhin eine Evolution des Bewußtseins, oder erweist sich der Fortschritt vom Direkten zum Abstrakten als Valenz des Zentralorgans? Neuere Erkenntnisse der Hirnforschung zeigen, daß der Unterschied zwischen tierischem und dem menschlichen Bewußtsein nicht essentiell, sondern graduell ist. Gerhard Roth weist auf den Fortschritt hin, den die Hirnforschung diesbezüglich in jüngster Zeit erzielen konnte. Die  selbst in den Naturwissenschaften lange beibehaltene Auffassung, nur der Mensch verfüge über Geist und Bewußtsein, müsse als endgültig widerlegt angesehen werden. Selbst bei unseren Mitmenschen können wir nach Urteil des Hirnforschers nicht feststellen, ob sie Geist besitzen. “Wir sprechen ihnen in der Regel ein solches Vermögen zu, sofern sie sich im Rahmen von bestimmten menschlichen Verhaltensweisen und sprachlichen Äußerungen bewegen. (…) Es erscheint in diesem Zusammenhang plausibel anzunehmen, daß nicht nur wir Menschen, sondern auch Affen, Hunde, Katzen usw. denken können, daß sie Geist und Bewußtsein besitzen. (…) Auch wenn sich Sprache schon in einfacher Form bei anderen Primaten findet, so ist kaum zu bezweifeln, daß die Ausbildung der menschlichen Sprache geistige Leistungen des Menschen wie Vorstellen, Erinnern und begriffliches Denken außerordentlich effektiver gemacht hat. Insbesondere hat die Erfindung einer grammatischen Sprache zusammen mit dem stark vergrößerten präfontalen Cortex es dem Menschen ermöglicht, mehr als andere Tiere Handlungs- und Zukunftsplanung zu treiben. Darin scheint sich der Mensch am meisten von den Tieren zu unterscheiden.”[xxx] Roth hebt hervor, daß sich der Grundaufbau des Gehirns bis einschließlich des Neocortex beim Menschen in nichts von dem anderer Wirbeltiere unterscheidet. Die Annahme, beim Menschen sei etwas völlig Neues hinzugetreten, das den Geist erzeugt hat, sei nicht gerechtfertigt, selbst dann sei eine derartige Denkoperation ziellos und zirkulär, wenn sie darauf angelegt sei, das Bedürfnis des Menschen nach Einzigartigkeit zu erklären oder zu befriedigen.

Diese Betrachtung darf nach meiner Überzeugung nicht abgeschlossen werden, ohne den Aspekt der Freiheit zu bedenken. Problematisiert wird demgemäß eine zuallererst philosophische Frage, weil sie, die Freiheit, erfahrungswissenschaftlich nicht faßbar ist. Freiheit hat im Rekurs auf Immanuel Kant (KrV) mit Vernunft zu tun. Vernunft ist nicht Verstand, aber sie kommt nicht ohne ihn aus. Als metaphysische Größe hat Vernunft deshalb auch mit der naturalen Basis des Verstandes, dem Gehirn, zu tun. Der spanische Philosoph José Ortega y Gasset äußert sich in der dritten Vorlesung im Problemkreis der „Historischen Vernunft“ zu dem Charakter der Vernunft:“ Die Vernunft, in ihrer Authetizität, ist vitale Vernunft.“ Ortega bezeichnez das Leben als die „radikale Wirklichkeit, in der alle anderen Wirklichkeiten sich zur Erscheinung bringen“ .Er wiederholt frühere Ergebnisse seines Denkens über Vernunft mit der Feststellung, „dass die reine Vernunft in der vitalen Vernunft verortet sein muß.“  Hier setzt sich Ortega mit einem ontologischen Ansatz deutlich von der Transzendentalphilosophie Emmanuel Kants ab.

Vor allem aus dem Verständnis der neurobiologischen Theorien der Wahrnehmung und des Gedächtnisses mit den neurobiologischen Versuchen, Bewußtsein zu erklären (einige Repräsentanten versuchen, mit Hilfe der Annahme des synchronen Feuerns unterschiedlicher Neuronenverbände das gesamte sog. Bewußtseinsproblem zu lösen; hier zu nennen wäre vor allem das “binding problem”), muß auf die Interpretation der Gehirntätigkeit als Informationsverarbeitung in einem teils parallelen, teils hierarchisch-sequentiell organisierten Repräsentationssystem angemessen Bedacht gelegt werden. Das ist auch der Grund, weshalb ich von einer strengen Interdependenz von empirisch faßbaren und metaphysisch aufweisbaren Phänomenen in der Natur ausgehen muß, die nur einheitlich die Horizonte von Wirklichkeit ausbilden. In Übereinstimmung mit dem Hirnforscher Gerhard Roth, dem als einem auch in Philosophie promovierten Naturforscher hohe Kompetenz im Elfenbeinturm höheren Denkens und Erkennens zuzuschreiben ist, glaube ich, daß es aufgrund der neueren Erkenntnisse von Hirnfor­schung, Genetik, Mikrobiologie usf. zu einer grundlegenden Veränderung unseres Menschenbildes kommen wird. Dennoch halte ich fest: Der Mensch als Jäger, also ein Wesen im Reich der Sinnenwelt, ist zugleich auf dem kulturevolutiven Niveau unserer Zeit ein Lebewesen im Reich der Vernunft und damit – sensu Kant – im Reiche der Freiheit. Freiheit und das Bewußtsein des Menschen sind voneinander untrennbare, wechselseitig aufeinander verwiesene Größen. Soziologische Untersuchungen haben herausgefunden, daß Menschen mit starkem subjektiven Freiheitsgefühl glücklicher leben. Elisabeth Noelle-Neumann (Institut für Demoskopie, Allensbach) stellt den Zusammenhang von Be­wußtsein und Freiheit heraus, wenn sie im Ergebnis empirischer Forschung weiß: “Soweit ich heute erkennen kann, müssen Menschen, die mit viel Freiheit leben – ganz gleich, ob das nun ein subjektives Gefühl oder objektive Realität ist –, oft Entscheidungen selbst treffen (…). Und indem sie Entscheidungen treffen, entwickeln sie ihre Kräfte. Entscheidungen zu treffen braucht Kraft. Und indem man seine Kraft gebraucht, entwickelt man die Fähigkeit zur Aktivität. Und mit der Aktivität entwickelt man Selbstbewußtsein. Und Selbstbewußtsein scheint nun die wichtigste aller Quellen für ein glückliches Lebensgefühl zu sein. Selbstbewußtsein kann man auf mannigfache Weise gewinnen, zum Beispiel durch Besitz von Macht über andere. Man kann aber auch Selbstbewußtsein gewinnen durch Macht über sich selbst, durch Selbstbeherrschung. So läßt sich erklären, warum Freiheit ein großes Geschenk ist, warum Freiheit Selbstbewußtsein schenkt: Zauber der Freiheit.”

Die Freiheit im Ausdruck von Selbstbewußtsein ist dieselbe Freiheit, von der beispielsweise ein Jäger im Spiegel seiner Vernunft Gebrauch macht, wenn er jagt: die Entscheidungsfreiheit in der Sphäre des “Sollens”; sie ist Voraussetzung für die Gleichheit bzw. Gleichbehandlung von Tieren im Hinsehen auf gleiche Lebenschancen. Auf der Ebene menschlicher Sozialität meint diese Gleichheit etwas anderes. Sie blickt auf soziale Gerechtigkeit, Fürsorge und Menschlichkeit (Humanität). Es wird normalerweise übersehen, daß Gleichheit und Freiheit im Grunde sich widersprechen. Dieses bloß andeutungsweise gegebene Beispiel erklärt vielleicht auch, weshalb Freiheit im Reich der Natur und folglich in der Sphäre der Naturwissenschaft, näherhin der Hirnforschung, nicht existiert. Würde ein Hirnforscher erklären, er habe einen Beweis für Freiheit empirisch entdeckt, so kann ihm ohne weiteres gesagt werden, daß er offenbar einen Fehler gemacht hat. Freiheit ist kein Erfahrungsgegenstand. Kant spricht auch von Spontaneität, und diese Vorstellung erscheint mir besser natürlich aufweisbar zu sein; ich habe sie gewissermaßen mit jedem Dackel gemeinsam. Menschsein aus dem Aspekt von Vernunft steht im Widerstreit zwischen “müssen” und “sollen”. Das “Müssen” bringt zum Ausdruck, daß ich nicht anders kann. Das “Sollen” weist darauf hin, daß ich nicht anders darf. Wenn ich also “sollen” denken will, dann muß ich “Freiheit” denken. Wolf Singer (Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung, Frankfurt) meint das “Müssen”, wenn er feststellt: “Neurobiologisch gesehen gibt es keinen Raum für die Freiheit (…). Das, was wir als freie Entscheidung erfahren, ist nichts als nachträgliche Begründung von Zustandsänderungen, die ohnehin erfolgt wären.”

Es besteht für G. Roth kein Zweifel daran, “daß die heute anstehenden Kernfragen nicht ohne Neurobiologen, Psychologen und die Philosophen gemeinsam angegangen werden können: Wer oder was steuert unser Verhalten? Wer oder was bin/ist Ich? Wie entsteht das Ich? Welche Funktion hat Bewußtsein, und in welchem Verhältnis steht es zum Unbewußten? Gibt es einen freien Willen?” (Gerhard Roth in: Information Philosophie, März 2000, Diskussion S. 108-115). Im Ergebnis eines jüngst beendeten, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Schwerpunktprogramms “Kognition und Gehirn”, einer multidisziplinär durchgeführten Forschungsveranstaltung, faßt Roth zusammen, es lasse sich feststellen, wann und wo im Gehirn besondere neuronale Leistungen stattfinden, die sich dann mit Art und Ablauf bestimmter kognitiver Prozesse in Verbindung setzen lassen. So können wir unter der Voraussetzung einiger physiologisch meßbarer, Jagdverhalten auslösender Prozesse versuchen herauszufinden, ob und ggf. welches kognitive Korrelat diesen zuzuordnen ist. Ist diese Voraussetzung gegeben und beweisbar, ist in jedem denkbaren Falle das Prinzip Verantwortung für menschliches Jagdverhalten unabweislich. Ganz nebenbei zeigt G. Roth, daß solche Prozesse im Gehirn, die kognitiv besonders anspruchsvoll und vom Bewußtsein begleitet sind, stets erhöhte Hirndurchblutung, Stoffwechselaktivität und neuro-elektrische Aktivität aufweisen. Ergebnisse dieser Art deuten sensu Roth auf eine strenge Parallelität zwischen mentalen und neuronalen Prozessen. Der Forscher ist überzeugt, daß es bald möglich sein wird, jeder Nuance eines Gedankens ein Hirnkorrelat gegenüberzustellen. Für die Philosophie aber ist damit offenbar das Problem noch nicht gelöst. Namhafte Vertreter der Philosophie verweisen auf das nach ihrer Auffassung unübersteigbare Rätsel, das sich im subjektiven Erleben von Bewußtsein offenbart. Kann das Erleben des Subjekts, mit dem es sein eigenes Erleben als Faktum seines Bewußtseins erlebt (Teil der Erkenntnis im Ausdruck des anthropologischen Grundgesetzes von Helmuth Plessner in den “Stufen”), aus dem Aspekt einer Interdependenz mit der zellulären Ebene begriffen werden? Ein jagender Mensch erlebt nicht nur den jagdlichen Vollzug als Wechselwirkung seiner Innenwelt mit der Umwelt (so erlebt dies auch das Tier!), sondern der Mensch als Jäger erlebt sein Erleben, und darin liegt sein Glück, wie es ebenfalls und völlig gleichartig in der menschlichen Sexualität zum Ausdruck kommt.

Der britische Verhaltensforscher Patrick Bateson, leitender Wissenschaftler der “Royal Society” für den Bereich Biologie, tritt mit interdisziplinär stark beachteten Thesen in Fragen der Ethik bezüglich menschlichen Handelns gegenüber dem Tier in Forschung, Wissenschaft und Jagd hervor. Er sieht keine Gefahr in den Forschungsergebnissen der Neurobiologie für die Freiheit, insoweit man Determinismus unter Umständen anzunehmen habe, von dem nicht die Rede sein könne: “Durch ein besseres Verständnis der Verhaltensbiologie wird meines Erachtens die Idee des freien Willens nicht aufgehoben, sondern gestärkt.” In seinem neuen Buch “Design for a Life” gibt er weiter zu bedenken: “Wenn wir die Funktionsweise unseres Gehirns besser verstehen lernen, könnten wir zu der Überzeugung gelangen, das Verhalten sei vollständig programmiert. Wir könnten nichts daran ändern, weil es gleichsam fest verdrahtet sei. Dann könnte auch der Eindruck entstehen, dem Gedanken der Verantwortung sei der Boden entzogen. Das ist Unsinn.”

Was man auch über die Evolution menschlichen Verhaltens sagen mag, eine wichtige Veränderung war höchstwahrscheinlich die Erweiterung unserer Fähigkeit, Dinge zu planen. Wir können alternative Handlungsverläufe im Geiste betrachten, ohne einen Muskel zu bewegen. Diese Fähigkeit ist so bedeutsam für Wahlverhalten und Entscheidung, daß es unsere Abwägung verschiedener Handlungs­verläufe unter allen Umständen beeinflussen muß. Da die meisten Menschen in der Lage sind zu planen, wägen sie auch die Folgen ihrer möglichen Handlungen ab. Das ist auch die Grundlage des Strafrechtes. Für das kulturelle Jagdschema bedeuten diese Sichtweisen, daß die Idee der Freiheit das Prinzip Verantwortung auch dann herausfordert, wenn es sich herausstellen sollte, daß der sogenannte freie Wille ein neurobiologisch generierter Konsekutivprozeß ist. Wäre das nicht der Fall, würde Freiheit nichts anderes sein als Libertinage. Es gäbe keine Freiheit für etwas, sondern bloß die Freiheit von etwas. Wer sollte schon dagegen Einwände erheben wollen, daß es sich vielleicht herausstellt, was für unsere offenbar menschspezifisch vorhandene Wahlfreiheit genetische Prädisposition bedeutet? Eine moralische Anlage mit biologischem Fundament würde allenfalls den Metaphysiker zwingen, einen Teil seiner spekulativen Vernunft einer empirischen Gewißheit zu opfern.

Die differentia specifica zwischen naturalem und kulturellem Jagdschema ist offenbar dieselbe wie die zwischen Instinkt und Kognition (Denken). Unter der Voraussetzung von Individuation ist Denken ein Vorgang innerhalb der Natur. Das Denken läßt sich aber nicht allein auf hirnorganische Prozesse reduzieren. Wenn Denken ein natürlicher Vorgang ist, dann ist die “Kritik der reinen Vernunft” des Immanuel Kant, worauf Georg Picht besonders hinweist, ebenfalls ein Vorgang innerhalb der Natur.[xxxi] Ist Denken ein Vorgang innerhalb der Natur, dann ist die Logik evidenter Sätze eine Übereinstimmung mit der Natur selbst dann, wenn sich unser Denken dieser Evidenz widersetzt. Dieser Fall ist dann bekanntlich ein Gebrechen unserer Natur, ein Mangel der individuellen Urteilskraft. Das Jagdaxiom ist ein evidenter Urteilssatz. Wir bezeichnen eine Erkenntnis dann als evident, wenn sich in ihr die Natur auf unwiderstehliche und gelegentlich unbegreifliche Weise manifestiert. Es handelt sich näherhin um die systematische Einheit der Erkenntnis, also das, was aus einem bloßen Aggregat von Denken bzw. Denkoperationen die “synthetische Einheit der Apperzeption” leistet und in Kants Sinne die spezifische Leistung des kategorialen Verstandes, “daß ich denke”, ist (KrV, Anm. zu B 134). Dieser Ausblick er­folgt, weil Jagdaxiom und Jagdtheorie Ermöglichungsbedingungen eines wissenschaftlichen Paradigmas Jagd sind. In der Methodenlehre weist Kant darauf hin, daß die systematische Einheit des Denkens erst ein Denken unter dem Anspruch von Wissenschaft zu leisten in der Lage ist. Sie ist “dasjenige, was gemeine Erkenntnis allererst zur Wissenschaft macht” (KrV–B 860). Was beispielsweise im Hinsehen auf die versuchte Definition des Jagdbegriffs herauskommt, wenn diese Prinzipien mißachtet werden, hat Kurt Lindner in einer arbiträr-alogischen Argumentation, in einer erkenntnistheoretischen Absurdität erzeugt, die eher an einen flatus animi erinnert, wenn er behauptet, die Jagd sei ein menschliches Spezifikum.[xxxii]

Kants Definition von Natur hat bis heute Methodik und Theorienbildung der Naturwissenschaften bestimmt. Natur ist nach Kants Verständnis “der Zusammenhang der Erscheinungen ihrem Dasein nach nach nothwendigen Regeln, d. i. nach Gesetzen” (KrV–B 263). Das Jagdaxiom ist ein Gesetz dieser Art. Kants Sichtweisen werden hier deshalb favorisiert, weil sie vor allem im Verständnis von Bewußtsein durch neue Hirnforschung Bestätigung gefunden haben. Noch in jüngerer Zeit nahm die Hirnforschung an, daß tierisches und menschliches Bewußtsein in essentieller und nicht bloß gradueller Differenz in der Natur vorkommen. Der Medizinnobelpreisträger (1963) John C. Eccles problematisiert in einem Gespräch mit Karl Popper diesen Aspekt und kommt zu dem Ergebnis, das kognitive selbstreferentielle System des Men­schen (Selbstbewußtsein) sei dem Tier (Gegenstandsbewußtsein) grundsätzlich verschlossen. Bei näherer Prüfung der Ecclesschen Argumente drängt sich der Eindruck auf, daß die Annahme, der Neocortex sei eine evolutive Entwicklung nur des menschlichen Gehirns, ihn zu diesem Schluß gebracht hat. Die neuere Hirnforschung aber weist darauf hin, daß der Neocortex auch bei anderen Tieren phylogenetisch existiert und nicht allein für die basale Entwicklung kognitiver Fähigkeiten im Kontext der Sprachentwicklung herangezogen werden kann, wie vorstehend im Rekurs auf den Hirnphysiologen Gerhard Roth näher erläutert wurde.[xxxiii] Die grundlegenden Forschungsergeb­nisse des Hirnforschers Sir C. Eccles (1903-1997) haben gezeigt, daß der materialistische Ansatz, Beschaffenheit und Funktionsweise des Gehirns sowie die Dispositionen und Vorgänge des Bewußtseins in einem Schema von Ursache und Wirkung aufgehen zu lassen, eines empirischen Nachweises wohl für immer entbehren müssen. Eccles wendet sich in seinem mit Karl Popper herausgegebenen Buch (“The Self and its Brain – An Argument for Interactionism”, Berlin: Springer 1977) gegen Philosophen wie Quine, Armstrong und Smart, die glauben, man könne jetzt oder in Zukunft die “mentale” durch eine “physikalische” Sprache ersetzen. Die Einheit der bewußten Erfahrung kann für Eccles nicht anders gedacht werden, als daß sie durch den “selbstbewußten Geist” und nicht durch die “neurale Maschinerie der Großhirnhemisphäre” vermittelt wird. In diesem Sinne ist der Titel “Das Ich und sein Gehirn” Programm: Das Gehirn gehört dem Ich und nicht umgekehrt. Eine These, die Eccles in seinem Spätwerk “Die Evolution des Gehirns – die Erschaffung des Selbst” eindrucksvoll ausführt. Kritik hat Eccles seine Spekulation über die “übernatürliche Schöpfung” des Ich eingetragen. Tatsächlich ist die Zurück­weisung überzogener naturwissenschaftlicher Ansprüche nur eine notwendige, nicht aber eine hinreichende Bedingung für die theologische Option der Beseelung. Es ist logisch nicht einsehbar, warum aus den Aporien der Hirnforschung der Schöpfer aller Dinge hervortreten soll.

Eccles argumentiert in einem metaphysischen, der empirischen Forschung für immer unzugänglichen Raum, wenn er sagt: “Da unsere erlebte Einmaligkeit mit materialistischen Lösungsvorschlägen nicht zu klären ist, bin ich gezwungen, die Einmaligkeit des Selbst oder der Seele auf eine übernatürliche spirituelle Schöpfung zurückzuführen. (…) Ich glaube, daß in den materialistischen Vorgängen der biologischen Evolution eine göttliche Vorsehung am Werk ist.”[xxxiv]

Diese Überzeugung von Eccles kann freilich nicht bewiesen werden, sie ist aber angesichts des exorbitanten Fachwissens des Medizinnobelpreisträgers (1963) auf diesem relevanten Ge­biet (Bewußtsein, Seele und Geist) für die hier durchzuführende Arbeit insoweit notwendig zu beachten, als in einem späteren Abschnitt Abhandlungen zu einer moralphilosophischen Handlungstheorie erfolgen. Bekanntlich sind weltweit sehr viele Wildjäger auch schöpfungsgläubige Menschen. Die durch das notwendige Töten von Tieren im Vollzug der Wildjagd, insbesondere im Falle der heute ganz überwiegenden sogenannten Freizeit- oder Hobbyjagd problematisierte Mensch-Tier-Beziehung aus einem jagdmoralischen Aspekt, nimmt oft genug wie selbstverständlich Jäger und Wild aus dem Sichtkreis der Schöpfung Gottes, nämlich als Entitäten einer universellen Schöpfung in den Blick.

Eccles’ schöpfungsgläubige Überzeugungen können aber in diesem Teil der Arbeit weder Aner­kennung noch Berücksichtigung finden, weil sie sich im logischen Aufbau der Abhandlung notwendig der empirischen Argumentation mit den Parametern Jagdaxiom, Jagdbegriff und Jagdtheorie entziehen. Der kulturanthropologische Teil gemäß der fundamentalontologischen Deduktion dieser Arbeit darf deshalb den erfahrungsabhängigen Raum nicht verlassen, andernfalls er zum wissenschaftlichen Nach­teil dieser Arbeit spekulativ wird. Hiervon grundsätzlich auszunehmen sind bewußtseinsthematische Sachverhalte, die in Durchführung der empirischen Untersuchung (vgl. Anlage zur Dissertation) die vor- und unbewußte Sphäre des Jägers im Kontext der Tötungshandlung in empirischer Absicht in den Blick nimmt und methodisch überprüft.

Die zentrale Frage ist weiterhin: Welche Rolle spielt das Bewußtsein des frühen Jägers Mensch sozusagen in der Anreicherung von Kognitionen im naturalen Jagdschema? Im Rekurs auf Kant kann dabei zuallererst geklärt werden, wie wir das Denken überhaupt zu verstehen haben, das, wie erwähnt, nicht auf hirnchemische und hirnorganische Prozesse allein reduzibel ist. Nach Kant ist die Funktion des Denkens darin gegeben, daß Vorstellungen durch den Verstand schon bei ihrem Entstehen bearbeitet werden. Das sinnlich vermittelte Erfahrungsbewußtsein zeigt uns, wie es “da draußen in unserer Umwelt” aussieht. Kants Lehrsatz lautet: “Das bloße, aber empirisch bestimmte Bewußtsein meines eigenen Daseins beweist das Dasein der Gegenstände im Raum außer mir.” (KrV–B 275). Tiere haben aufgrund ihres Bewußtseins ebenso wie der Mensch Vorstellungen, Wahrnehmungen. Sie sind nicht erkenntnistheoretischer, sondern gegenständlicher Art. Beides gilt auch für den Menschen. Es gilt für uns ganz homolog dann, wenn wir im Schlaf Vorstellungen haben (Traumerlebnisse). Vorstellungen werden also sowohl aus einem sinnlich vermittelten Raum als auch aus enkodierten Prozessen (Erinnerungen) erzeugt. Darüber hinaus scheinen aus dem Unbewußten phylogenetisch vermittelte Bilder (Archetypen) auf uns vorstellungsbildend einzuwirken (das Substrat der Angst). Die Vorstellung von einem Naturding unter einem Begriff zu fassen, leistet aber nicht die Phantasie, sondern das Schema mit dem die Einbildungskraft “operiert”. Das naturale Jagdschema als enthalten in einem bewußt­seinsimmanenten Prozeß bildet die Vorstellung von dem aus, was Jagd ist. “Diese Vorstellung nun von einem allgemeinen Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen, nenne ich das Schema zu diesem Begriffe. In der Tat liegen unseren reinen sinnlichen Begriffen nicht Bilder der Gegenstände, sondern Schemata zum Grunde.” (KrV–A 140 und B 180). Kant spielt hier auf den Übergang eines phylogenetischen Prozesses an, den wir als den Übergang vom naturalen Jagdschema zum kulturellen Jagdschema, dem Denk- und Handlungsschema begreifen. Es ist zweifellos die Phase einer evolutiven Veränderung des menschlichen Bewußtseins (Seele), das über die Phylogenie Elemente aus Hypothalamus und limbischem System, also eine Verschränkung von Kognition und Emotion, von apriorischen und aposteriorischen Bewußtseinsinhalten evolutiv neue Strukturen, nämlich Denkfähigkeit hervorbringt. Höchst vorsorglich ist dabei hervorzuheben, daß Bewußtsein nicht als ein Etwas, sondern als ein Prozeßhaftes, sich immer neu Herstellendes zu denken ist. Wir können uns ein Verständnis hiervon leicht am Zustand vorübergehender Bewußtlosigkeit vermitteln. Unser Bewußtsein wird in der Regel durch den Schlaf oder durch ein Hirntrauma “ausgeschaltet” und steht uns beim Erwachen sofort wieder zur Verfügung. Auf hierzu vorliegende unterschiedliche Erklärungsmodelle der Hirnforschung verzichte ich. Das Gegenstandsbewußtsein des Tieres erschöpft sich im Direkten. Des Denkens ungewohnte Menschen sind in der Regel nicht leicht imstande, Metaphern zu verstehen. Sie nehmen sozusagen alles wörtlich, obwohl dem Menschen a priori ein Verstehen des Abstrakten möglich ist. Das tierische Empfinden versteht nicht, sondern es “weiß” durch den Instinkt. Denken ist folglich das vom Empfinden abgezogene Verstehen der Wirklichkeit und der Zusammenhänge. Die Vorstellung von “Dreieck” oder “Quadrat” ist uns a priori eingeboren, sie wird nicht erlernt oder erfahren.

Kant verweist kasuistisch auf den Begriff “Hund”. Er bedeutet eine Regel, vermittels der mir meine Phantasie die Gestalt eines vierfüßigen Tieres darbietet, ohne auf irgendein konkretes Tier notwendig eingeschränkt sein zu müssen. Diese Möglichkeit (z. B. Jagd als zugleich apriorische Vitalkategorie und empirische Größe des Aktivitätspotentials des Lebewesens zu begreifen) ist uns aber nicht durch die Erfahrung, sondern aus einer von Kant nicht näher angegebenen Anlage vermittelt, die man mit modernen Worten der Hirnforschung und Kognitionswissenschaft als Sphäre des Unbewußten anzu­geben hätte. Kant äußert sich dazu so: “Dieser Schematismus unseres Verstandes, in Ansehung der Erscheinungen und ihrer bloßen Form, ist eine verborgene Kunst in den Tiefen der menschlichen Seele, deren wahre Handgriffe wir der Natur schwerlich jemals abraten, und sie unverdeckt vor Augen legen werden. So viel können wir nur sagen: das Bild ist ein Produkt des empirischen Vermögens der reproduktiven Einbildungskraft, das Schema sinnlicher Begriffe (als der Figuren im Raume) ein Produkt und gleichsam ein Monogramm der reinen Einbildungskraft a priori, wodurch und wonach die Bilder allererst möglich werden…”(KrV-B 181).

In voller Konkretion stellt sich nach alledem die Frage: Worin liegen die Bestimmungselemente des kulturellen Jagdschemas im Unterschied zum naturalen Jagdschema? Bei der Analytik dieser Frage nehmen wir sinnvoll zwei Elemente in den Blick, die auch bisher, das eine mehr, das andere weniger, eine Rolle gespielt haben: Bewußtsein und Intentionalität. Dabei folge ich nicht der universellen Sichtweise des amerikanischen Wissenschaftsphilosophen Daniel C. Denett, der in einer jüngeren Publikation[xxxv] gewissermaßen alle Lebewesen als intentionale Wesen begreift, also die Intentionalität vom Bewußtsein trennt. Man kann das tun, man muß es dann aber begründen, was letztlich noch mit intentional überhaupt gemeint ist. Im übrigen handelt es sich hierbei (Intentionalität) um ein Interpretations­konstrukt, das unser Gehirn der Wissenschaftsgemeinde geschaffen hat, um überhaupt intersubjektiv konsensuell forschen zu können. Dasselbe gilt für Karl Poppers 3-Welten-Schema.

In dem Standardwerk auch der modernen, aktuellen Psychiatrie behandelt Karl Jaspers  Bewußtsein und Seele als eine Struktur-Funktions-Wechselwirkung des Gehirns im Ausdruck einer dennoch organunabhängigen Entität, die ohne die materiale Basis nicht auskommt und  trotzdem ohne sie existiert. “Daß die Seele kein Ding ist, und daß schon das Reden von der Seele durch Vergegen­ständlichung irreführt, machen wir uns weiter deutlich: 1. Die Seele heißt das Bewußtsein, aber ebenso gut und unter bestimmten Gesichtspunkten sogar wesentlich ist sie das Unbewußte. 2. Die Seele ist gar nicht als Gegenstand mit Eigenschaften, sondern als Sein in ihrer Welt, als ein Ganzes als Inwelt und Umwelt zu fassen. 3. Die Seele ist Werden, Entfalten, Differenzierung, nichts Endgültiges und Vollendetes. (…) Bewußtsein hat dreierlei Bedeutung: Es ist erstens die Innerlichkeit eines Erlebens und steht als solche im Gegensatz zur Bewußtlosigkeit und zum Außerbewußten. Es ist zweitens gegen­ständliches Bewußtsein, ein Wissen von Etwas, und steht als solches im Gegensatz zu einem innerlichen Erleben als dem Unbewußten, dem die Spaltung in Ich und Gegenstand noch abgeht. Es ist drittens Selbstreflexion, Bewußtsein seiner selbst, und steht als solches im Gegensatz zum Unbewußten, das ich zwar in Subjekt-Objekt-Spaltung mit gemeinten Inhalten erlebe, dessen Erleben ich aber nicht ausdrücklich und darauf aufmerksam weiß.

Bewußtsein ist die unerläßliche Erscheinung der Seele, wenn unter Bewußtsein jede Weise eines erlebten Innerlichseins verstanden wird, auch wo die Spaltung in Ich und Gegen­stand fehlt, vielmehr ein bloßes Fühlen, eines Gegenstandes und seiner selbst nicht bewußt, stattfindet. Wo in diesem Sinne kein Bewußtsein ist, da ist auch keine Seele.”[xxxvi]

Das Erleben der Jagd des modernen Wildtierjägers im Gegensatz zum Erleben des archaischen Nahrungsjägers ist Ausdruck des dritten Bedeutungskriteriums von Bewußtsein im Sinne von Karl Jaspers.

Das Gerichtetsein (Intentionalität) des Subjekts der Jagd auf die “Beute”, näherhin auf die intendierte Ressource, wird von Karl Jaspers mit einem Zustand beschrieben, den er “Aufmerksamkeit” nennt. Es ist “das helle Bewußtsein innerhalb des gesamten Bewußtseinszustandes …” Bewußtsein ist also “erstens die reale Innerlichkeit des Erlebens (im Gegensatz zur Äußerlichkeit des erforschbaren biologischen Geschehens), zweitens die Subjekt-Objekt-Spaltung (daß ein Subjekt meinend [Hinweis Verf.: das ist der Fall der Intentionalität] auf Gegenstände gerichtet ist, die es wahrnimmt, vorstellt, denkt), drittens das Wissen des Bewußtseins um sich selbst (Selbstbewußtsein).”

Daraus folgt zum Verständnis des kulturellen Jagdschemas aus dem Aspekt der Jagdtheorie und den Antezedenzbedingungen Gesetz (Jagdaxiom) und Jagdbegriff:

1. Das Bewußtsein des Subjekts interagiert im Doppelaspekt von Innenwelt und Umwelt (Doppelaspekt im Plessnerschen Sinne[xxxvii]) und intendiert lebensweltliche Güter materieller und immaterieller Art als Ressource.

2. Der moderne Wildtierjäger (der archaische Nahrungsjäger nur in geringerem Maße), der Waidmann intendiert i. d. Regel eine immaterielle Ressource, nicht dagegen bzw. nur in Ausnahme­fällen, wenn Aneignungsrecht und Jagdmotiv zusammenfallen, intendiert er die Nutzung einer körperli­chen, einer natürlichen Ressource (also Fleisch oder Felle o. ä.); darauf kommt es seiner Motivation nicht an. Zentral steht die Motivationstendenz des Erlebens von Erleben der Natur der Natur des Jägers (Mensch) im Zentrum der volitiven und Willensakte. Die meisten Wildjäger dieser Welt sind aus der Bewertung einer kognitiv-hierarchischen Struktur der menschlichen Persönlichkeit einfache Individuen (schlichte Gemüter), denen es deshalb nicht leichtfällt, zu begreifen, warum sie jagen. Die Auseinander­setzung mit dem Ich, mit den Gründen von Strebungen und Wünschen, übersteigt jede Möglichkeit eines nicht dialektisch geschulten Denkens, das außerdem in der Regel noch einer fachpsychologischen Sophistikation bedürfte. Das reflexive Ego, das den Jäger beispielsweise befähigt, das Erleben seines Erlebens bewußt zu erleben und z. B. darauf zu reflektieren, welche psychischen Mechanismen dem Kick voraus und zugrunde liegen, den das jagende Subjekt beim Töten eines wilden Tieres erlebt, dieses emotional fundierte Ichbewußtsein eines selbstreferentiellen Systems (das ist sensu Plessner die Conditio humana) ist nicht der Fall von Allgemeinheit bei kulturellen Jägern unserer Zeit. Auf angegebene Weise kulturell höher entwickelte Individuen üben bei genau derselben Motivklasse nur selten das Waidwerk aus und wenden sich statt dessen anderen möglichen Feldern des Erlebens zu. Mit Verwahrung gegen interpretatives Mißverstehen wird hervorgehoben, daß diese Feststellung rein empirischer Art ist und nichts differenzierendes zur Intelligenz auszusagen vermag. Die Differenzierung liegt vielmehr auf einer Metaebene hierzu, nämlich auf der Ebene der kulturellen Entwicklung und kulturellen Prägung der Persönlichkeit. Ausnahmen, die am Beispiel besonders vitaler und im evolutiven Sinne dominanter Individuen zu beobachten sind (z. B. Friedrich von Gagern, Hermann Löns et alii) müssen im Interesse strenger Wissenschaft unberücksichtigt bleiben. Sie gelten im Sinne von Karl Jaspers als abnorme Persönlichkeiten.

Das kulturelle Jagdschema kann aber nur dann angemessen verstanden werden, wenn Seele, Bewußtsein und Geist im Kontext vormenschlicher Bedingungen verstanden werden, wie es der anthropologische Ansatz von Helmuth Plessner ermöglicht.[xxxviii]

“Seele ist real die binnenhafte Existenz der Person. Bewußtsein ist der durch die Exzentri­zität der personalen Existenz bedingte Aspekt, in dem die Welt sich darbietet. Geist dagegen ist die mit der eigentümlichen Positionsform geschaffene und bestehende Sphäre und macht daher keine Realität aus, ist jedoch realisiert in der Mitwelt, wenn auch nur eine Person existiert.” [xxxix]

Plessners Theorie der organischen Wesensmerkmale in den “Stufen” geht ebenso wie die Jagdtheorie von einem fundamentalontologischen Ansatz aus. Alles Wissen der mikrobiologischen Forschung, näherhin der Genetik und Hirnforschung, führt nicht zu einem ganzheitlichen Verständnis einer Selbst­auslegung des Menschen, wenn Plessners Beitrag nicht begriffen wurde. Plessners Anthropologie ist der Schlüssel sowohl zum Verständnis des Menschen als auch zu dem der Jagdtheorie.

Das Tier der exzentrischen Positionalität, der Mensch, ist ein Lebewesen einer jagenden Spezies, und sein Bewußtsein gründet tief in der Sphäre des Vormenschlichen vor allem im Hinsehen auf Emotionalität. Deshalb kommt der Hirnforschung dort große Beachtung zu, wo sie sich auch mit dem originär bloß subjektiv erfahrbaren Phänomen, mit dem Bewußtsein befaßt. Neben der Hirnrinde begreift sie den Thalamus als “Tor zum Bewußtsein”, und sie vermochte auf diesem Wege den operativen Zusammenhang heterogener Gehirnareale und Gehirnsphären zu erkennen, der bis weit in die Wurzeln der phylogenetischen Entwicklung des Jägers Mensch Spuren zurückverfolgen läßt.

“Besonders zur Tiefe des Bewußtseins können aus klinischer Sicht verschiedene, besonders im Stammhirn lokalisierbare, also hierarchisch tiefer stehende und entwicklungsgeschichtlich ältere Anteile zugeordnet werden, im wesentlichen ein nicht näher anatomisch unterteilbares Neuronennetz in der Formatio reticularis. Diese Struktur wird aus funktioneller Sicht auch als aszendierendes retikuläres aktivierendes System (ARAS) bezeichnet und beherbergt neben Taktgebern für Atmung und Kreislauf auch Regulatoren, die die Vigilanz, also den Wachheitsgrad des Menschen steuern und sind als basales, stammesgeschichtlich altes Strukturkorrelat des Bewußtseins wirksam. (…) Insgesamt muß das Bewußtsein als ein Hirn-Phänomen betrachtet werden, das hirnorganisch-strukturell nur schlecht auflösbar ist. Offenbar sind mehrere funktionelle Systeme am Werk, die zudem unterschiedlichen hierarchischen Hirnabschnitten angehören. Die Distributivität des Bewußtseins auf organischer Ebene korre­liert mit der Erfahrung, daß das Bewußtsein, das immer ein intentional gerichtetes Bewußtsein von etwas ist, mit verschiedenen höheren Hirnfunktionen verknüpft sein kann und auch psychologisch distributiv ist.”[xl]

Das Jagdschema ist generell, sowohl als naturales als auch kulturelles Verhaltensschema unter der Mitwirkung eines “intentional gerichteten Bewußtseins” in der Welt. Intentionales Objekt ist die Ressource, die “Beute”. Sie kann bei archaischen oder animalischen Jägern Pflanze oder Tier sein, eine natürliche Ressource demgemäß. Für den modernen Jäger aber ist sie in der Regel nicht in der Finalität des Tötens eines Wildtieres determiniert, sondern sie besteht auf einer Güterebene, die dem Menschen als kognitiv bestimmtem Jäger eignet, sie ist das Objekt des Erlebens der eigenen Natur, die für den hypermodernen Waidmann an der Grenze zwischen Tiersein und Menschsein jagend tätig erfahrbar wird; das Machtmotiv beispielsweise im Ausdruck der Freiheit, andere und sich selbst als Objekte der Beherrschung wählen zu können, beeinflußt offenbar das Jagdverhalten richtungsgebend. Dabei ist die dem Beherrschungsstreben intentional ins Visier gelangende Beute nicht, wie es sich jetzt deutlich zeigt, das Individualleben des Wildtieres, sondern die intendierte Ressource ist die Natur selbst. Der Tötungsakt richtet sich vordergründig gegen das Leben des Wildtieres. Wird aber versucht, genau diesen Zusammenhang aus dem Aspekt des außerordentlichen emotionalen Zustandes, den die jagenden Akteure erleben (den Kick bei Töten), zu analysieren, um dabei das faktische intentionale Objekt zu bestimmen, dann stellen wir überrascht fest, daß es dem tötungshandelnden Subjekt nicht um das Töten des Tieres geht. Das intentionale Objekt liegt hinter dieser Konkretion des Tötungsaktes und zeigt sich im Lebewesen als eine universelle Größe der Natur, als das Leben schlechthin bzw. als die biotische Natur selbst. Genau darin liegt auch der Schlüssel zum Verständnis einer elementaren anthropologi­schen Aussage von José Ortega y Gasset. Nicht das Töten des Tieres ist Ziel und Zweck des Jägers (Waidmanns), denn bei dem modernen Jäger kehrt sich die natürliche und archaische, die vorkulturelle Ordnung Mittel–Ziel vollkommen um, und den modernen Wildjäger interessiert nicht zuerst “der Tod des Tieres, darum geht es ihm nicht. Was ihn interessiert, ist alles, was er zuvor unternehmen mußte, um ihn zu erreichen, und das ist eben: jagen.” Damit verwandelt sich, wie Ortega konsistent herausgearbeitet hat, das, was für den Nahrungsjäger nur Mittel war, seine natürliche Ressource, das Wild als Beute jagend überhaupt zu bekommen und sich ihrer zu bemächtigen, also der gesamte Prozeß des Jagens, geistig-strategisch und physisch mit allen mannigfaltigen psychischen Implikationen (Leidenschaft, Frustration, Selbstkontrolle, Wahrnehmung des natürlichen Feldes in Interaktion mit dem Jagdvollzug, Aktivierung aller Sinne usf.) zum eigentlichen Zweck. Die intendierte Ressource ist näherhin die glückhafte Erfahrung und die Freude der Erkenntnis der eigenen Natur, des Ich: Wildtierjagd, das Waidwerk ist Ich-Projektion. Nur aus diesem Verständnis ist Ortega angemessen zu begreifen: “Man jagt nicht, um zu töten, sondern umgekehrt, man tötet, um gejagt zu haben.” (69)[xli] Damit aber ist sehr viel Triviales instinktiv richtig erfaßt und noch wenig logisch konsistent begriffen.

Zusammenfassend kann hiernach gesagt werden: Das kulturelle Jagdschema ist die anthropologische Seite des naturalen Jagdschemas, nämlich ein empirisches Denk- und Handlungsschema und damit zugleich ein Objekt bzw. ein Phänomen der Psychologie. Der Richtungssinn, der vermittels des im Lebewesen angelegten Aktivitätspotentials, einer energetischen Kraft, über das naturale Jagdschema Verhalten strukturiert und organisiert, ist innerhalb des kulturellen Jagdschemas die Intentionalität bzw. Motivation. Jagdmotivation nennen wir deshalb die Tendenz des Organismus (Mensch), die ihm gemäßen notwendigen Ressourcen zu erlangen und zu sichern. Dabei handelt es sich im weitesten Sinne um alle lebensnotwendigen materiellen, emotionalen und geistigen Güter eines Bedürfniswesens, das, anders als das Tier, für seine Existenz solcher Güter bedarf, die gemäß der Natur des Menschen sowohl natürliche (in der Regel physiologisch evozierte) als auch kulturelle in der Regel kognitiv und psychisch erstrebte) Bedürfnisse zu befriedigen in der Lage sind.

Die anthropologische Bedeutung des Mitverhältnisses, einer im Universum des Lebendigen “aus Gründen seiner Lebendigkeit” gegebenen wechselseitigen Verwiesenheit der Lebewesen aufeinander, wird von Plessner in den “Stufen” immer wieder betont. Die hier fundamentalontologisch herausgear­beitete Struktur des naturalen Jagdschemas (Tier und Pflanze) ist zugleich auch Fundament und Bedingungselement des kulturellen Jagdschemas, das den anthropologisch modernen Menschen kenn­zeichnet: “Und auch seine Welt ist notwendig getragen von Umweltcharakteren, wie in der Organisation seiner eigenen Existenz das Höhere und spezifisch Menschliche vom Tierischen getragen wird.”[xlii] Für den modernen Wildjäger sind Elemente des Mitverhältnisses z. B. das Wild in seiner natürlichen Umwelt ebenso wie das gesellschaftliche Milieu seiner Bezugsebene, mit der er interpersonell, beruflich und politisch interagiert. Deshalb hat Wildjagd (das Waidwerk) für den modernen Jäger nicht bloß eine eminent einflußnehmende subjektive Seite (Erleben, Glück, Freude), sondern auch eine soziale Dimension. Der moderne Mensch als Jäger ist von Natur aus auf Sozialität und Moralität angelegt, und er beachtet in dieser seiner Eigenart selbstreferentiell die Sichtweisen, die Normen und Werthaltungen seiner Gesellschaft, die seine soziale Bezugsebene bildet. Deshalb ist für ihn die Wildjagd auch ein “Etwas”, das ihn an eine sozioökologische Perspektive, also an die Sicht von außen bindet. Diese Wechselwirkung (Individuum – Gesellschaft) berücksichtigt der moderne Jäger angemessen im funktionalen Bereich der Wildjagd und verbindet in einer Güterabwägung subjektiv willkürliche und intersubjektiv beachtenswürdige Zwecke (ökosystemgerechte Jagd, nachhaltige Nutzung einer natürlichen Ressource, Verantwortungsprinzip, die Achtung des Wildtiers im Selbstwert seines Daseins, ökonomische Interessen des Eigentums aus dem Verständnis des Artikels 14 Grundgesetz) in Form von Selbstverpflichtung. Die Freiheit des Jagens liegt in der Achtung der Freiheit des anderen in Natur und Kultur, von Tieren (je und je auf graduell unterschiedlichem Niveau) und Menschen. Moderne Wildjagd ist auch der Gebrauch einer Macht, die dem Prinzip Verantwortung folgend sich an Naturgesetzen (Evolution) erprobt (das Töten des Tieres) und zugleich auf Selbstbeherrschung verwiesen ist. Das Korrektiv bildet die Vernunft.

Die vorstehend bloß beispielhaft aufgezeigten normativen Aspekte treten in der Regel als Jägerethos in Erscheinung; sie werden praktisch von Jägern vor allem im deutschsprachigen Raum aus dem Inbegriff eines Verständnisses von Waidgerechtigkeit als autonomem Pflichtenkanon begriffen. Erfahrungsgemäß folgen aber die jagdhandelnden Subjekte diesem Pflichtbewußtsein vor allem dann, wenn das Verletzen solcher Pflichten sanktioniert ist.

 

 

 


[i]       B a y e r t z, Kurt: Wissenschaftstheorie und Paradigmabegriff, Stuttgart: Metzler 1981.

 

[ii]      L y o n s, J.: Einführung in die moderne Linguistik, 7. unveränderte Auflage, a. d. Engl. übersetzt von W. und G. Abraham, München 1989.

 

[iii]      B a r g a t z k i, T.: Einführung in die Ethnologie: Eine Kultur- und Sozialanthropologie, 2. unveränderte Auflage, Hamburg 1989, S. 135.

 

[iv]      J a s p e r s, Karl: Allgemeine Psycho-Pathologie, 9. Auflage, Berlin-Heidelberg: Springer 1973.

 

[v]      K ü h n l e, Günter R.: Der Jäger und sein Ich, a.a.O.

 

[vi]      D e r s.: a.a.O. (vgl. TZ 138, 2), S. 85; 94; 313; 342.

 

[vii]     D e r s.: Ebda.

 

[viii]     L e n k, Hans: Zwischen Sozialpsychologie und Sozialphilosophie, Frankfurt: Suhrkamp 1987, S. 152 – 235.

         D e r s.: Philosophie und Interpretation, Vorlesungen zur Entwicklung konstruktionistsicher Interpretationsansätze, Frankfurt: Suhrkamp 1993.

 

[ix]       Anm.: Die Bezeichnung “strukturalistisch” wurde von Stegmüller auf Vorschlag von Yehoshua Bar-Hillel übernommen, um eine geeignete Übersetzung des englischen Ausdrucks “non-statement view of theories” zu erhalten (vgl. Stegmüller 1987: 468). Auf die Frage, weshalb dieser Hinweis erfolgt, ist zu sagen: Der Begriff “Strukturalismus” darf trotz des multidisziplinären Ansatzes dieser Arbeit auf keinen Fall in dem Sinne der Anwendung in der Linguistik oder Ethnologie verwendet werden.

 

[x]      S a r r i s, Viktor : Methodologische Grundlagen der Experimentalpsychologie 1: Erkenntnisgewinnung und Methodik, München: Reinhardt 1990, S. 31.

 

[xi]      K ü h n l e, Günter R.: a.a.O. (Vgl.Tz. 138, 2), S. 290 f.

 

[xii]     D e r s.: a.a.O., S. 281 – 284.

 

[xiii]     S a r r i s, Viktor: a.a.O., S. 32.

 

[xiv]     S t e g m ü l l e r, W.: Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Bd. 2: Theorie und Erfahrung, Teil H: Realismus und Strukturalismus, Anwendungen: Literaturtheorie, Tauschwirtschaft, Entscheidungstheorie, Neurosentheorie, Kapital- und Mehrwerttheorie, Berlin 1986, S. 386.

 

[xv]      Anm.: Beispielhaft zu nennen sind: Carvalli-Sforza und Feldmann, 1981 S. 53ff., 62; Chen, Carvalli-Sforza und Feldmann, 1982; Boyd und Richerson, 1982, S. 328 ff. und 1985a, S. 34; Lopreato, 1984, S. 240; Schmid, 1987, S. 83; Durham, 1991, S. 24, 419 ff.

 

[xvi]     Anm.: Beispielhaft zu nennen sind: Carvalli-Sforza und Feldmann, 1981 S. 53ff., 62; Chen, Carvalli-Sforza und Feldmann, 1982; Boyd und Richerson, 1982, S. 328 ff. und 1985a, S. 34; Lopreato, 1984, S. 240; Schmid, 1987, S. 83; Durham, 1991, S. 24, 419 ff.

 

[xvii]     G o u l d, Stephan, Jay: Life’s Grandeur, (Jonathan Cape, London 1996).

 

[xviii]    D a w k i n s, Richard: Human Chauvinism, in : Evolution 51.7 (1997).

 

[xix]     Anm.: Philosophie und Religion transzendieren die stofflich gebundene Lebensqualität und problematisieren ein von Materie unabhängiges “Leben” bzw. Sein. Vor allem die Existenz- und Lebensphilosophie (vgl.: Karl Jaspers: Der philosophische Glaube angesichts der Offenbarung, München: Piper 1984; Urs von Balthasar: Theodramatik IV.) unter Einschluß der Transzendentalphilosophie Kants begriffen erst in großer Deutlichkeit die Vernunft als metaphysische Größe in der Existenz des Menschen. Kant fragte danach und bewies schließlich: Wie ist Metaphysik als Wissenschaft möglich? Die praktische Vernunft als eine Entität im Reiche der Zwecke (KpV) verbindet Sinnen- und Vernunftwelt als universelle Anlage des Menschen. Vernunftsubjekte sind (notwendig zu denken!) Menschen, denen im Sinne von Kant (und Peter Singer) das Merkmal Vollsinnigkeit bzw. Verstand zukommt.

 

[xx]      Anm.: Die Rede von “höheren Lebewesen” sollte aufgegeben werden,weil sie ohne nähere Konkretion Vertebraten meint (Primaten, Menschen bzw. Tiere allgemein mit einem Zentralorgan). Der Begriff “Lebewesen” setzt aber schon einen “höheren” Organismus voraus, der Seele hat.

 

[xxi]     Anm.: Der Primatenforscher Christian Vogel hat die Räuber-Beute-Koevolution als Mechanismus des evolutiven Fortschritts und als Bedingung der Möglichkeit von Mutation empirisch dargeboten und in der interartlichen Bedeutung der Phylogenese hervorgehoben; in: Vom Töten zum Mord, München: Hanser 1989, S. 64 ff.).

 

[xxii]     F r o m m, Erich : Die Furcht vor der Freiheit, Stuttgart: DVA 1983.

         Anm.: Eine Koevolution von Geist und Gehirn wird durch die aktuelle Hirnforschung (z.B. Singer, Roth) empirisch bestätigt. Allen mentalen Prozessen steht eine je spezifische Hirnaktivität gegenüber. Der Mensch ist in seiner Wechselbezüglichkeit der Interaktion von kognitiven und emotionalen Vollzügen grundsätzlich, soweit Vollsinnigkeit besteht, als Einheit (von Denken, Fühlen und Wille) zu begreifen. Für die Bestimmung der Ressourcen kultureller Jagd gilt demgemäß, was Erich Fromm herausgearbeitet hat: “Das unveräußerliche Recht des Menschen und Freiheit und Glück ist in Eigenschaften begründet, die dem Menschen angeboren sind: in seinem Streben zu leben, sich zu entfalten und die in ihm angelegten Möglichkeitem zum Ausdruck zu bringen, welche sich im Prozeß der historischen Evolution in ihm entwickelt haben.”( a.a.O., S. 247).

 

[xxiii]    Anm.: Das wohl bedeutendste Werk des (späten) Nikolaus von Kues “De venatione sapientiae” ist ein intellektuelles Jagdoeuvre, wie es seitdem die Geistesgeschichte nicht mehr hervorgebracht hat. Das plumpe Herumtappen vieler Geisteswissenschaftler, die im Unwissen über die substantiellen Elemente dieses Werkes meinen, “Jagd” werde durchgängig als Metapher benutzt, erliegen damit immer wieder einem petitio prinzipii. Der Kusaner hebt ausdrücklich hervor, daß die Jagd im natürlich-biologischen Reich nicht anders zu begreifen ist wie im Reiche des Geistes: Die Logik ist der Jagdmechanismus des Geistes. Vgl.: Kühnle, Günter R. “Der Jäger und sein Ich”, München-Bonn: Avant 1994, S. 265 ff.

 

[xxiv]    N i k o l a u s  v o n  K u e s: a.a.O.

         Anm.: Das erkenntnistheoretische Spätwerk des Kusaners verwendet die Strategien des naturalen Jagdschemas zum Erjagen des intendierten Zwecks bzw. Zieles: Die Suche nach der Wahrheit. Die Wahrheit ist die Wirklichkeit der Welt, das Wirkliche ist das Wahre (Heidegger), und genau dieses ist die elementare Ressource des Geistes. Nikolaus zeigt auch, daß die Wildjagd bloß ein Segment im Universum Jagd ist, und sie dient ihm als Muster. Jagdstrategien werden kulturell evoluiert zu Denkstrategien. Die kulturelle Evolution könnte nicht deutlicher veranschaulicht werden.

 

[xxv]     Anm: In den “Stufen” zeigt Plessner am Beispiel des zweiten anthropologischen Grundgesetzes der “Vermittelten Unmittelbarkeit” daß geistige Güter nur vermittels eines Mediums erjagt werden können. Wer Jagd als Vitalkategorie und als Entität des Geistes begreifen will, der muß verstehen, “daß das Lebendige als solches die Struktur der vermittelten Unmittelbarkeit besitzt.”( a.a.O., S. 324) Dieses Wissen bringt den Jäger einem Verstehen nahe, das das Töten des Tieres scheinbar ohne Zweck und bloß zur Freude auf der Vermittlungsebene des Unmittelbaren in den Blick bringt. Das Unmittelbare, das der hypermoderne Wildjäger intendiert, das ist ein machtmotivgeleitetes Beherrschen der Natur, näherhin der Evolution im Ausdruck von Leben. Vermittelt wird die Bedürfnisbefriedigung durch das Leben des Wildtieres und durch den Jagdakt (das Töten). Nicht Herrschaft über das Leben des Tieres also ist zentral dem Jagdmotiv inhärent, sondern der blitzmomenthafte Aufweis einer Beherrschung der Natur überhaupt. Für das jagende Subjekt sind diese Mechanismen seiner Seele normalerweise unbewußt.

 

[xxvi]    S i n g e r, Wolf: Auf dem Weg nach innen – Ein kognitives System versucht sich selbst zu ergründen. In: Frakfurter Allgemeine Zeitung, 49.2 (1998), S. 41.

 

[xxvii]    D e r s.: Ebda.

 

[xxviii]   D e r s.: Ebda.

 

 

 

[xxix]    P o p p e r, Karl R.: Die Welten 1, 2, und 3, in: P o p p e r, Karl R. und E c c l e s, John C.: Das Ich und sein Gehirn, München: Piper 1990, S. 61 – 74.

         Anm.: Die Welten 1 (Welt der physikalischen Gegenstände), 2 (Welt der subjektiven Erlebnisse) umgreifend das Ich-Bewußtsein und alle Empfindungen sowie das tierische Bewußtsein, und 3 ( Erzeugnisse des menschlichen Geistes) stehen wechselseitig in Interaktion. Die Jagdmotivation des Menschen ist auf Welt 2 reduzibel, wenn man bloß die Wildjagd in den Blick nimmt (Machtmotiv). Innerhalb der Kulturevolution ist Jagd als universelles Gestaltungselement jedoch im Sinne des von ihr fundierten Denk- und Handlungsschemas der Welt 3 immanent. “Mit Welt 3 meine ich die Welt der Erzeugnisse des menschlichen Geistes, wie Erzählungen, erklärende Mythen, Werkzeuge, wissenschaftliche Theorien (wahre wie falsche), wissenschaftliche Probleme, soziale Einrichtungen und Kunstwerke. Die Gegenstände der Welt 3 sind von uns selbst geschaffen, obwohl sie nicht immer Ergebnisse planvollen Schaffens einzelner Menschen sind.” (a.a.O., S. 64). Karl Popper beschreibt den Mechanismus der Kulturevolution als die Fortsetzung der biotischen Evolution in der Welt 3, also als eine Extrapolation auf den geistigen Bereich in unaufgebbarer Abhängigkeit der Welteninteraktion, näherhin der geistigen Prozesse in Wechselwirkung mit ihrer Basis, dem Gehirn. Deshalb ist das persongenerierte Machtmotiv des nicht auf die körperliche Ressource Wild gerichteten modernen Jägers auf Naturbeherrschung fokussiert, auf das Leben als Träger der biotischen Evolution (Natur) und es ist nicht auf die Destruktion des animalischen Individuallebens gerichtet; dieses dient bloß modellhaft dem intendierten Zweck, der dem Jäger nur vermittels ihm erreichbar ist.

 

[xxx]     R o t h, Gerhard: Ist das menschliche Gehirn einzigartig?, in: K ö n i g, Viola und H o h m a n n, Herbert (Hrsg.- Edition Archaea): Bausteine der Evolution, Gelsenkirchen/Schwelm 1997, S. 105-114.

 

[xxxi]    P i c h t, Georg: Der Begriff der Natur und seine Geschichte, in: E i s e n b a r t, Constanze (Hrsg.): P i c h t, Georg: (Sammlung) Der Begriff der Natur und seine Geschichte, Stuttgart: Klett-Cotta 1993, S.34 ff.

 

[xxxii]    L i n d n e r, Kurt: Jagd – Verteidigung einer Definition, Bonn: Habelt 1978.

         Anm.: Es ging dem Industriellen Kurt Lindner, der als angesehener Privatgelehrter ohne disziplinäre Programmatik sich auf jagdhistorischem Gebiete einen intersubjektiv bestätigten Ruf verschafft hatte darum, seine jagdthematische Lehrtätigkeit an einer deutschen Universität mit dem Fundament eines Jagdbegriffs zu festigen, das Jagd allein auf menschliche Tätigkeit bezieht. Jagd mußte als Partialphänomen im Universum der Lebewesen hervortreten, um in Lindners Absicht und mit seiner Ziel- und Zwecksetzung Objekt von Wissenschaft sein zu können. Diese Annahme war erstens eine kontraevolutionäre Setzung und sie war zweitens erfolglos,weil falsch. Vgl. dazu: Kühnle, Günter R.: Der Mensch als Jäger im Spiegel seiner Vernunft, München-Bonn, Avant 1997, S. 85 ff.

 

[xxxiii]   R o t h, Gerhard: Das Gehirn und seine Wirklichkeit.

 

[xxxiv]    E c c l e s, John C.: Die Evolution des Gehirns- die Erschaffung des Selbst, München: Piper 1989.

 

[xxxv]    D e n n e t t, Daniel C.: Linds of minds, in deutscher Übertragung: Spielarten des Geistes, München: Bertelsmann 1999. Vgl. auch: Dennett, Daniel C.: Philosophie des menschlichen Bewußtseins, Übersetzung von Franz Wuketits, Hamburg: Hoffmann und Campe 1994.

 

[xxxvi]    J a s p e r s, Karl: a.a.O., S. 9 f. und S. 114.

 

[xxxvii]   P l e s s n e r, Helmuth: a.a.O., S. 87; 88 ff; 104; 13o; 160; 242.

         Anm.: Es wird oft nicht exakt begriffen, was das “Selbst” ist, das Tiere wie Menschen gleichermaßen haben. Plessner gibt an: “Die raumhafte Mitte, der Kern bedeutet das Subjekt des Habens oder das Selbst.” (S. 237) Jeder bewußtseinstheoretischer Ansatz bleibt dilettantisch, der sich ohne dieses Wissen auf den Weg zur Erkenntnis begibt. Auf die Grundverfassung des Lebewesens im Doppelaspekt kommt es vor allem dann an, wenn Jagd aus dem Aspekt der kulturellen Evolution begriffen werden will. “Denn um prinzipiell divergente Gegenstandssphären, die nie, wesensmäßig nie in einander überführbar sind, handelt es sich bei der Struktur, die durch zentralen Kerngehalt – eigenschaftstragende Seiten bestimmt ist.” (S. 88) Jagd ist auf diese Weise zugleich Ausdruck des Lebens, des biotischen wie des geistigen Lebens. Jagd ist vermittels der Erscheinung des lebendigen Körpers des Menschen Ausdruck eines aus seiner Innenbeziehung (Aktivitätspotential mit Richtungssinn auf Ressourcen) auf eine Außenbeziehung (z.B. geistige Güter, Wissenschaft, Kultur, Forschung, Wertschöpfung usf.) wahrnehmbare und damit empirisch messbare Größe: “Körperliche Dinge der Anschauung, an welchen eine prinzipiell divergente Außen-Innenbeziehung als zu ihrem Sein gehörig gegenständlich auftritt, heißen lebendig.” ( S. 89).

 

[xxxviii]   D e r s.: a.a. O., Ebda.

 

[xxxix]    D e r s., a.a.O., S. 303 f.

 

[xl]      V o g e l e y, Kai: Repräsentation und Identität, Zur Konvergenz von Hirnforschung und Gehirn-Geist-Philosophie, Berlin: Duncker und Humblot 1995, S.108; 109.

 

[xli]     O r t e g a  y  G a s s e t, a.a.O., S. 68; 69.

 

[xlii]      P l e s s n e r, Helmuth: a.a.O., S. 308.

         Anm.: Das Mitverhältnis im Ausdruck einer interindividuellen Interaktion, das bewußte Erleben des Mitverhältnisses, ist dem Tier ebensowenig gegeben, wie es dem Tier versagt ist, “das Umfeld der eigenen Existenz welthaft” zu erleben. Objektiv steht das Tier zwar in einem Mitverhältnis drin (aus der Menschperspektive), “aber sie gewinnt für es keinen faßlichen Charakter”. Das Tier kann seine Position nicht im Mitverhältnis erfahren.” Die geschlossene Organisationsform des tierischen Lebewesens gestattet die Konstitution eines eigenen Mitfeldes im Unterschied zum Umfeld nicht. Seine Artgenossen, seine Mittiere bilden für das Tier keine besonders ausgezeichnete und begrenzte Umgebung. Sie sind mit dem Umfeld als Ganzem verschmolzen und werden daher in ihm sinnentsprechend behandelt. Daran ist kein Zweifel möglich: jedes Tier hat Witterung für seine Artgenossen, mit denen es (objektiv) im Mitverhältnis steht. Wie weit bei dieser Witterung der reine Instinkt, wie weit die Wahrnehmung reicht, ob hier noch Raum für Versuch und Irrtum und also für noch besonders zu machende Erfahrung bleibt, hat die Biologie zu untersuchen.”( Plessner: a.a.O., S. 307)

         Mit diesem Hinweis deutet Plessner die Enträtselung eines für den praktischen Jäger bis heute unerklärlichen Geheimnisses an und er regt gleichzeitig eine Forschung an, die auf dem Gebiet einer künftig möglichen Jagdwissenschaft u. U. auch im Teilsegment von Ethologi mit dem heute möglichen Instrument der Mikrobiologie (Genetik usf.) die Mensch-Tier-Beziehung auf ein qualitativ höheres Nievau mit ethischer Relevanz zu heben vermag. Die meisten Jäger kennen alle das Beispiel der Unbekümmertheit und der für manchen von uns oft unfassbaren Unberührtheit eines Muttertieres (z.B. die Ricke), wenn ein Jungtier (Kitz) erlegt wird, und die soziale Umwelt (andere Kitze, die Ricke, andere Rehe i.d. Nähe) dieses Ereignis (anthropomorph betrachtet) nicht zur Kenntnis nehmen will. Wir haben das Gefühl, dieses Wild, das Muttertier beispielsweise, sei “kalt bis ans Herz”. Wir wissen nicht, daß die Natur der Natur dieses Wildes eben eine ganz spezifische Interpretation vorgibt, die sich mit unserer Interpretation derselben Situation als unvereinbar erweist.

         Jagdethik, soweit sie möglicherweise demnächst einmal als Teil eine ökologischen Ethik überhaupt fachphilosophisch konstituierbar erscheint, wird diesen Aspekt vor allem aus dem Gedanken möglicher Tier-Mensch-Empathie und entsprechender Interaktion mit zu bedenken haben. Einstweilen aber tappen die fachanmaßenden Spezialisten der organisierten Jägerschaft und Jagdmedien auf diesem Gebiete in einem der Lächerlichkeit preisgegebenem Dunkel, wie ihre Äußerungen es im Schattenriß abstruser Vorstellungen für jedermann spüren lassen. Selbst zu sehr Tier, und der Vernunft abgewandt, scheint sich der mit Jagdmoral und im mit Ethik bewußt betriebener falscher Diktion ungewohntes Denken andeutenden Vorstellung befasste elitäre Vordenkertrupp des modernen organisierten Waidmanns in prometheischer Weise zu überfordern.

Kategorie: De venatione