Empathie  und   Spiegelneuronen  

Unser Gehirn interpretiert fortwährend die Umwelt und gestattet es uns damit in aller Regel, die richtigen Einstellungen zu der Aussenwelt und Bewertungen der Umweltereignisse herzustellen. Spiegelneuronen des Gehirns simulieren beispielsweise automatisch, wie sich unsere Mitmenschen verhalten und vermitteln uns oft sogar Einsichten in das Handlungsmotiv des anderen Menschen. Wir können den Geisteszustand anderer erfassen, indem wir uns in ihn hineinversetzen (Empathie). Spiegelneuronen sind an der Entschlüsselung unserer Fähigkeit, zu verstehen, was in anderen vor sich geht, exorbitant funktional beteiligt. Sie versorgen uns mühelos mit Informationen über das Innenleben eines anderen Menschen, unserem Gegenüber.

Die Entdeckung von Spiegelneuronen hat erstaunliche Erkenntnisse hervorgebracht: Ihre relativ einfachen physiologischen Eigenschaften ermöglichen uns, zu erfassen, was im Geist anderer Menschen vor sich geht.

Diese Fähigkeit galt bis in jüngste Zeit als ein unmögliches Unterfangen. Spiegelneuronen des Gehirns  simulieren nämlich automatisch, wie sich unsere Mitmenschen verhalten und was sie dazu antreibt. Wir können ihre Motive dechiffrieren und ihre voraussichtliche Handlung über jede Suggestion hinaus im voraus erfahren, ob sie nun erfolgt oder maskiert ist, ob sie unterdrückt wird oder einem motivationalen Surrogat (z.B. Übersprunghandlung) weicht. 

Was sind Spiegelneuronen? 

Der Name  des Systems  wurde  1996 von dem Neurophysiologen Vittorio Gallese  und Partner (Universität zu Parma) geprägt. Siegelneuronen sind in der Nähe der primär-motorischen Rinde des Gehirns lokalisiert, dessen elektrische Signale direkt unsere Muskeln steuern. Sie sind nicht an dem  willentlich kognitiven Aufwand beteiligt, der zu betreiben wäre, in die Haut eines anderen zu schlüpfen. Das Netzwerk umfasst weiter den oberen Scheitellappen und den hinteren medialen Stirnlappen. 

 Siegelneuronen sind Nervenzellen, die nicht bloß dann  feuern, wenn eigene Bewegungen ausgeführt werden, so stellten die italienischen Forscher fest, sondern auch beim Betrachten  fremder Aktivitäten. Der Hang zum Imitieren und die Fähigkeit zur Einfühlung fanden damit ein Interpretationskonstrukt für ihr basales Substrat. Die aktuelle Medizin in Deutschland, z.B. die Neurologie und Psychiatrie, sehen auf dem Felde der Rehabilitation bei Schlaganfallpatienten realistische Regenerationschancen, wie auf dem jüngsten Neurologenkongress  2011 in Wiesbaden zu erfahren war. Selbst die Kombination von Akustik und Motorik  unterstützt die Rehabilitation, wenn der akustische Input (Musik) mit der Vorstellung von Bewegungsmustern (z.B. Tanz) verbunden wird.

Empathie als Weg zum Unbewussten des Anderen 

Neurowissenschaftler untersuchen neuerdings, woher unsere Empathiefähigkeit rührt. Sie aktivieren die Interaktion zwischen der emotionalen, der unbewussten  und  dem Neocortex, der mentalen, bewussten Sphäre. Es gibt offenbar zwei getrennte Netzwerke im Gehirn, die für das Mitgefühl zuständig sind. Beide sind beispielsweise aktiv, wenn wir aus den Blicken unserer Mitmenschen „lesen“. Sigmund Freud prägte für den immer schnell intuitiv verfügbaren Eindruck vom Innenleben anderer Personen den Begriff Einfühlung (Empathie).  Spiegelneuronen sind also ein Instrument der sozialen Kognition. Sie stehen vor allem im sogenannten Weltbezug anderer Menschen (Bewegungen, körperlich greifbare Phänomene).

Das zweite relevant aktive System von Nervenzellen ist das soziale neuronale Netzwerk Es ist an unserer Zuschreibung von Gefühlszuständen anderer Menschen neben den Spiegelneuronen beteiligt und stellt  uns demgemäß den Personbezug her. Die Amygdala, temoropolarer Kortex, mediale Bereiche des Stirnhirns  sind aktiv. Beide Sphären vermitteln die Fähigkeit, uns in die Gemütszustände und auch Kognitionen anderer einzufühlen. Sie gestatten einigen mit besonderer Intuitionskraft begnadeten Persönlichkeiten gewissermaßen auch Gedanken anderer Menschen zu lesen.

Empathie und Ethischer Egoismus: Ein innerer Widerspruch?

Lässt sich das Merkmal sozial bzw. eigennützig  als einheitliche moralisch positive Eigenschaft der Persönlichkeit denken? Gemeinhin gelten Egoismus und Altruismus als unvereinbare Maximen menschlichen Handelns. Wenn wir auch von Natur keine egoistischen Einzelgänger sind, so sind wir noch lange keine selbstlosen Menschenfreunde, denen nichts so sehr am Herzen liegt wie das Wohl und Wehe ihrer Nächsten. Unsere Natur vereinbart die offenbar wohl nur scheinbaren Gegensätze von sozialer bzw. eigennütziger Handlungstendenz in uns, weil beide im Konzert miteinander erst das Leben in Gemeinschaftermöglichen. Faktisch bewirkt das Zusammenspiel von Eigennutz und Gemeinsinn, daß sich Gesellschaft innovativ und sozialverträglich entwickeln kann.

Gut ist, was mir nützlich ist: Eine Handlungsmaxime, die auf der moralphilosophischen Grundannahme von Thomas Hobbes (1588-1679) beruht und die Selbsterhaltung als das oberste Ziel des Menschen ausweist. Gewiß, eine extreme Position! Hätte es aber in unserer Phylogenese an Wahnsinn grenzende Extreme nicht gegeben, wir hockten wahrscheinlich noch immer friedlich und gelangweilt in Höhlen und auf Bäumen.

Menschen können sich durchaus gleichzeitig egoistisch und sozial verhalten. Die immer als gut und moralisch determinierten Fähigkeiten z.B. Fairnis und Empathie, die Tendenz also, dem anderen seinen Spielraum (vgl. José Ortega y Gasset) zu belassen  oder Mitleid, Mitgefühl zu zeigen sind oft verknüpft mit sozialen  Formen unseres Verhaltens, die häufig in Verdacht geraten, das Gegenteil zu sein. Sozial ist nämlich auch die Fähigkeit, andere zu durchschauen, sie herumzukommandieren, sie in den Dienst unserer Zwecke zu stellen (Arbeitgeber und Unternehmer) oder sie vielleicht auch hinters Licht zu führen (Werbung).

 

 

Gefühlsverlust und kalt bis ans Herz:
 Dissozial determinierte Persönlichkeit ?

Gefühlsrohigkeit  und eine psychische Anmutung, die uns manchen Menschen als eine Persönlichkeit wahrnehmen lassen, die kalt bis ans Herz zu sein scheint, sind wohl selten natürliche Eigenschaften der Conditio humana. Ohne wechselseitiges Einfühlungsvermögen wäre eine Kulturmenschheit nicht vorstellbar. In jüngerer Zeit gelang es der neuromedizinischen Forschung in Absicht, die Ursachen der Alzheimer-Demenz zu ergründen, hirnorganische Zerfallprozesse im zingulären Kortex, der vorderen Inselrinde, im frontalen Pol: Stirnlappenspitze, orbifrontaler Kortex und im temporalem Pol (Schläfenlappenspitze) zu verorten. Diese Entdeckung überraschte die Forscher,  tritt bei der Alzheimerkrankheit  das Neuronensterben doch typischer Weise in hinteren Hirnregionen auf. Als Folge registrieren wir allgemein einen schleichenden Verlust des Denk- und Erinnerungsvermögens  beim Menschen etwa  jenseits des 60. Lebensjahres.

Anders dagegen die oben erwähnte Form, die mit frontotemporale Demenz (FTD) bezeichnet wird und von der in der Regel jüngere Menschen, Personen unter 60 Jahren betroffen sind. Das Leiden führt im allgemeinen innerhalb von 8 Jahren zum Tod.   Forscher schätzen aufgrund empirischer Annahmen: Betroffen sind etwa 15 von 100 000 Menschen im Alter von 45 bis 64 Jahren. Nicht deren Gedächtnis wird geraubt, sondern ihre Fähigkeit zur Empathie, sie erleiden Gefühlsverlust, sind oft kalt bis ans Herz, zeigen stark dissoziales Verhalten, neigen zu Kriminalität und verlieren gewissermaßen ihre Mitmenschlichkeit. Neurowissenschaftler haben entdeckt, daß wir demgemäß über die pathologisch unbeeinflusste Funktion bestimmter  Hirnstrukturen  in der rechten Heminsphäre, vor allem im Bereich  des Schläfenlappens,  verfügen müssen, um warmherzige, kontakfreudige, kommunikativ kompetente Menschen zu sein. Vor allem spielen hierbei Wechselwirkungsprozesse im orbifrontalen Kortex, der vorderen Inselrinde und im rechten Mandelkern eine Verhalten beeinflussende Rolle. Gefühlskälte und Gefühlsrohigkeit sind herausragende Negativa der Persönlichkeit  von Menschen, die an FTD erkrankt sind. Verhaltensformen, die wir häufig einem genetisch negativ determinierten Charakter zuzuschreiben  gewohnt sind, erweisen sich in Wirklichkeit  als  pathologische Erscheinungsformen einer Sonderform von Demenz bei jüngeren Menschen. Nicht ein dissozial determinierter  Charakter, eine Anlage, die Mitgefühl verhindert,  sind konkret der Fall, sondern das pathologische Faktum eines zerfallenden Charakters.

Wissenschaft und Forschung haben immerhin aus dieser Erkenntnis einen nicht gering zu schätzenden Vorteil in Absicht der Selbstauslegung des Menschen gefunden: Die Entdeckung des Krankheitsbildes von FTD und seiner basalen Lokalisation lehrt die Forscher, auf welcher neuronalen Basis unser Sozialverhalten und die charakterlichen Eigenschaften des Menschen beruhen. FTD-Patienten geben Forschern Einblicke in das neuronale Fundament von Selbstwahrnehmung und sozialer Kompetenz! Wissenschaftler sind beim Erforschen der Krankheit der Lösung einer kulturevolutiven Frage sehr viel näher gekommen:  Erkenntnisse über Entstehung und psychosoziale Wirkung der Krankheit FTD zeigen, was uns  überhaupt erst menschlich macht! Bisher haben Ärzte und Angehörige in Unkenntnis oben gezeigter Zusammenhänge erste Symptome der Krankheit  irrtümlich als Ehe- oder Lebenskrise beurteilt.

Das Beispiel zeigt auch, daß sich  die anatomischen Grundlagen von Persönlichkeitsmerkmalen nie auf einzelne Hirnstrukturen eingrenzen lassen. Es scheint wesen tlich darauf anzukommen, wie gut der Informationsaustausch bestimmter Regionen funktioniert und wie diese zu intrinsischen Netzwerken sythetisiert sind. So filtern die in der Inselrinde und dem vorderen zingulären Kortex verschalteten Neurone in Windeseile aus sinnlichem Input, aus Gefühlen und sozialen Signalen, die das Gehirn im Sekundentakt überschwemmen, die wichtigsten heraus. Auf diese Weise analysiert das Netzwerk Präferenzmotive und zeigt, was gerade aktuell für den Organismus wichtig ist, seien es Hunger oder Sexualität oder eine angespannte zwischenmenschliche Situation. Bricht eben dieses Netzwerk unter Einwirkung einer FTD-Erkrankung zusammen,dann reagieren die Betroffenen nicht mehr auf soziale Signale, erleiden  Gefühlsverlust, Verlust der sozialen Kompetenz und können Verhaltensformen zeigen, die, kalt bis ans Herz, markante Merkmale der abnormen Persönlichkeit  zum Vorschein bringen.

 Forensisch ist dieser Aspekt dann von Bedeutung, wenn beurteilt werden soll, ob z.B. eine Tat aus genetisch determinierter Kaltherzigkeit roh und unmenschlich  verursacht ist oder ob ein Kausanlnexus zwischen Motiv und FTD-Erkrankung besteht. In diesem Sinne wird noch lange nicht jeder “kaltblütig ermordet”, der Opfer eines Täters wurde (insbesondere im Falle der unterlassenen Hilfe), dessen Motiv nur scheinbar im rohen Gemüte aufzusuchen sein dürfte. Eine eher sensible und humane Rechtssprechung wird künftig stärker zu bedenken haben, ob eine pathologische Abnormität des Gehirns als Trivialität eines dissozialen  Charakters  eine kriminologische Absurdität  der Justizakteure  im Sinne von beruflicher Selbstbefriedigung rechtfertigt.

 

Unterwegs von der Wahrheit des Gerhirns  zur Wirklichkeit der Welt

Unsere Fähigkeit, Gruppen zu bilden ist nicht nur Ausdruck einer Bindungsleistung zu anderen Menschen, sondern auch eine Tendenz zur Polarisierung: Denn Gruppenbildung bedeutet auch, andere Menschen auszuschließen und Nichtmitglieder der Gruppe zu benachteiligen (z.B. Gewerkschaften, Kirchen). Faktisch sind unsere sozialen Fähigkeiten auch ein gutes Interpretationskonstrukt für Klischees, Fremdenfeindlichkeit, Vorurteile und Diskriminierung. Umgekehrt hat eigennütziges Verhalten nicht immer negative Konsequenzen, sondern vermag andere zu höherer Leistung, zur Konkurrenz zu motivieren. Wäre nicht eine Gesellschaft aus lauter sanftmütigen Menschenfreunden überhaupt sterbenslangweilig? Es leuchtet ohne weiteres ein, daß eine Gesellschaft ohne Altruismus und Empathie nicht funktionieren kann. Wir benötigen aber auch, wie gezeigt wurde, die Bereitschaft, miteinander zu wetteifern, gemeinsam die Jagd auf Ressourcen materieller und geistiger Art auszuüben, uns durchzusetzen und Risiken zu wagen, wenn sich Gesellschaft kulturell und materiell evoluieren soll. Wir benötigen also beides: Natur und Kultur, Empathie und Egoismus. Es wäre jedenfalls absurd, soetwas wie das Wesen des Menschen in die eine oder andere Richtung allein determiniert verorten zu wollen.

Die gesellschaftspolitische Konsequenz daraus ist die Erkenntnis und politisches Handeln gemäß dieser Erkenntnis:

Wir dürfen es nicht der Natur überlassen, Korrektiv und Regulativ der negativen  Anlagen meschlichen Sozialverhaltens zu sein, sondern eine Entscheidungsinstanz wählen, die über die negativen  Seiten unseres Sozialverhaltens wacht ohne dessen positive Seite allzusehr einzuschränken. Ziel ist es, im Menschen das motivationale Mixtum Compositum von Konkurrenz und Kooperation zum Durchbruch zu bringen, ohne das weder ein Fußballspiel noch ein Weltraumflug mit multinationaler Besatzung funktionieren würde. Leidenschaft und Moral, Natur und Kultur, Enpathie und Egoismus: Wir benötigen beide Kräfte

 

Kann man Empathie lernen? 

Auf das Theorienfeld der Wirklichkeit empirischer Forschung verwiesen, entdeckten in jüngerer Zeit immer mehr Hirnforscher den  Einfluß von Spiritualität auf das praktische Leben. Die Meditation erweist sich als eines von mehreren brauchbaren Strategien, auf unser und anderer Menschen Innen Einfluß zu nehmen, wenn via Meditation Übungen der sogenannten liebevollen Zuwendung  dabei eine inhaltlich bewusst eingesetzte Rolle spielen. 

 Mit dieser Strategie werden Hirnareale, die Empathie und Mitgefühl vermitteln, verstärkt. Die Empathiefähigkeit basiert auf den Bedingungen subjektiver Möglichkeit, die Emotionen anderer Menschen  nachzuvollziehen, indem man in sich selbst ähnliche neuronale Muster erzeugt. Hier spielt die Insula  eine zentrale Rolle auf dem Weg des richtigen Wahrnehmens und Erkennens eigener Gefühle. 

Neuroplastizität  evoziert  eine  unbewußt erfahrene Fremdbestimmung 

 Mit Neuroplastizität bezeichnen Forscher die Veränderungen von Struktur und Arbeitsweise subjektiver Hirnareale durch exogene Wirkung. Bei intensiver Einfühlung in Alter Ego oder auch im Falle mechanischer Prozesse (z.B. Klavier spielen) bildet sich in relevanten Arealen unseres Gehirns ein entsprechendes Korrelat ab. „Falsche“ Liebe, schlechte Freundschaften, eine langzeitig intensive Einfühlung/Zuwendung in einen anderen Menschen können die eigene Persönlichkeit, das Selbstwertgefühl (Sadismus, Masochismus, Schwulenliebe) negativ beeinflussen, wie ebenso umgekehrt (z.B. automatische Internalisierung von Werten und Normen der Vorbilder). In aktiver Einfühlung der labilen Persönlichkeit  in ein Gegenüber mit negativem Charakter (Destruktionstypen) besteht auch die Gefahr der Selbstentfremdung bzw. Selbstzerstörung, wenn das Ich mit dem Alter Ego zu verschmelzen droht.

 Blackout im Erleben des Kicks als Erfahrung  höchster Erfüllung geschlechtlicher Liebe 

 Der geschlechtliche Liebesakt als Höherstufung der Persönlichkeit in kultureller Dimension, dem Max Scheler  in seiner höchsten Entfaltung ein quasi metaphysisches Niveau zusprach, erfährt in der naiven Anmutung des Sprichwortes: Ehen werden im Himmel geschlossen, einen tiefern Sinn. Den hormonell gesteuerten Kick allerdings, den Sexualpartner  nach  Schelers beeindruckendem Bild : im  rauschartigen Dahinschweben der Körper in ihrer Verschmelzung zur Einheit erleben, vermochte die aktuelle Hirnforschung nicht im Sinne von Schelers Verständnis im Reich der Metaphysik zu  verorten. Das bei den meisten Menschen im Orgasmus erlebte quasi übersinnliche bis übernatürliche Gefühl beruht auf einer Art Filmriss, auf einem Blackout beim Koitus, wenn der Hippocampus uns urplötzlich und für relativ kurze Zeit so etwas wie einen Gedächtnisverlust vorgaukelt. Tatsächlich erleben viele Menschen unmittelbar Orgasmus-post eine vorübergehende Gedächtnisstörung (Post coitus omne animal triste).

Zur Janusköpfigkeit der Sexualität  

 Mit dieser koitalen Amnesie befinden wir uns aber noch lange nicht im übersinnlichen, im einem von jeglicher Erfahrung  unabhängigen Raum. Neurowissenschaftler vermuten als Ursache eine vorübergehende Durchblutungsstörung, ausgelöst durch Sauerstoffmangel. Eine Problemlösung wird die Hirnforschung wohl bald anbieten können. Ein Ausweg zur Metaphysik aber wird wahrscheinlich keine gute Spur sein, weil diese Folgen des kulminativen Kicks beim Geschlechtsakt offenbar auch einigen Tierarten eigen und bei diesen zu beobachten ist. Wir werden uns  wahrscheinlich damit abfinden müssen, dass selbst die erhabensten und am meisten beglückenden  Erlebnisse geschlechtlicher Liebe im Hier und Jetzt auf der so unspektakulären Bezugsebene  des psychosomatischen Mikrokosmos ihren Ort haben. 

José Ortega y Gasset, der sich insoweit auf seinen Freund Max Scheler bezieht, unterscheidet die Sexualität  als einen psychosomatischen Prozeß auf einer entweder triebhaften und damit nur körperlichen Erfahrungsebene  oder  als ein ganzheitlich von der Persönlichkeit erlebtes Ereignis der Liebe zweier Menschen.  Das stärker körperlich-triebhaft erlebte und praktizierte Ereignis von Sexualität bezeichnet Ortega mit Geschlechtsinstinkt.  Die Liebe zweier Menschen im Erleben ihrer Sexualität im “rauschartigen Dahinschweben der Körper zum Erleben ihrer Verschmelzung zur Einheit der ICHE”, wie Max Scheler es ausdrückt, bezeichnet Ortega mit  Geschlechtsliebe. Der Geschlechtsinstinkt ist als rein körperlich behauste Sexualität demgemäß  nicht auf die Person, auf den Wesenskern des Partners gerichtet, sondern neigt dazu, diesen  für Triebentladung zu instrumentalisieren  Die Geschlechtsliebe dagegen ist die eigentliche, von Frauen weitaus stärker als von Männern erlebte Liebesform,  so Ortega. Sie ist dann der Fall, wenn in einem alle Sinne berausenden  Ereignis bei Vereinigung der Körper im Dahinströmen körperlich-geistiger „Gefühle“  so etwas wie übersinnliches Erleben erfahren wird (vgl. Goethe: sinnlich-übersinnlicher Liebhaber).  

Bei der Liebeswahl spielt die Intuition und das Erleben der Innenwelt  anderer Menschen aus  Ortegas Perspektive eine herausragende Rolle, um die Partnerwahl als glückliche Fügung bzw. Fügung des Glücks erleben zu können. Nur über Subjektivität können wir die Einzigartigkeit des Individuums in intersubjektiver Wechselwirkung erfahren.

Persönlichkeitspsychologen entwickelten vielfältige und aussagefähige Instrumente, um interindividuelle Unterschiede im Erleben und Verhalten von Menschen einordnen und beschreiben zu können. Die kognitiven Neurowissenschaften ermöglichen es heute, die biologischen Korrelate der Einzigartigkeit des Individuums zu ergründen. Liebeswahl hat also gute Chancen, zum langfristigen, zum dauerhaften Glück der Akteure gewissermaßen programmiert zu werden. 

Big Five: Fünf Hauptdimensionen der Persönlichkeit

Unterschiedliche Persönlichkeitsmerkmale entstehen im Wechselspiel zwischen Genen, der individuellen Anlage also, dem Gehirn und der Umwelt. Die Individualität eines Menschen wurzelt  in seinem Gehirn, näher hin in der Interaktion, im Austausch aller Areale dieses hoch komplexen und distributiven Systems. Das heute am weitesten verbreitete Model der Beschreibung von Persönlichkeitsmerkmalen umfasst fünf Faktoren, die  Big Five

Neurotizismus beschreibt eine emotionale Labilität, die sich in erhöhter Ängstlichkeit oder Reizbarkeit ausdrückt. Die Neigung zu Sorgen und die Tendenz zum Erleben negativer Emotionen gehören dazu. Menschen mit dieser Anlage sind weniger selbstbewusst. Ist dieses Merkmal nur gering in der Persönlichkeit repräsentiert, zeichnen sich Individuen mit guter psychischer Gesundheit aus- sie sind ruhig und gelassen, robust und zufrieden. 

Extraversion umfasst Aspekte der Geselligkeit, Aktivität, Erlebnishunger (Novelty Seeking) und die Tendenz, positive Emotionen zu erleben. Menschen mit dieser Anlage sind kontaktfreudig, herzlich, unternehmungslustig. Besteht aber nur eine niedrige Ausprägung dieser Anlage, dann treffen wir auch auf introvertierte und reservierte Menschen. 

Offenheit für neue Erfahrung. Repräsentiert dieses Merkmal  hohe Skalenwerte, erweisen sich Individuen dieses Schlages als kreative und phantasievolle Menschen, die alles Neue lieben. Sie zeigen hohes intellektuelles Interesse und zeichnen sich durch Experimentierfreude aus. 

Verträglichkeit beschreibt den affilialen Typus Persönlichkeit. Er ist umgänglich, vertrauensvoll, hilfsbereit, tolerant und nachsichtig im Allgemeinen. Kritische Menschen, Kritikaster, skeptische und feindselige Verhaltensneigungen zeigen hier exorbitant niedrige Skalenwerte. 

Gewissenhaftigkeit erreicht hohe Skalenwerte bei Persönlichkeiten, deren Charakter das Gepräge von Diszipliniertheit, Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit ausweist. Menschen dieses allgemein als gut empfundenen  Schlages sind sorgfältig und ausdauernd, sie halten Versprechen und verabscheuen Betrug. Sie folgen in der Regel einen festumrissenen Lebensplan und sind Freude von Organisiertheit auf allen Gebieten. 

Eifersucht und Egozentrik 

José Ortega y Gasset ist überzeugt, dass der Mann bei der Liebeswahl im Grunde sich selbst sucht und wählt. Je besser hierbei eine Übereinstimmung, eine Harmonie der Körper und Psyche als Einheit, als  ideal verbundene Innigkeit eines überindividuellen Ganzen gefühlt und gefunden wird, umso stärker und nachhaltiger erweist sich das Wir-Gefühl in der Bewährung der Lebenswirklichkeit, der Umwelt. Und umso mehr unerträglich erscheint das Leben im Falle einer falschen Partnerwahl. Das Verschmelzen beider  Iche zu einer gewissermaßen ontologischen Einheit scheidet unter solchen Bedingungen aus. 

 Eifersucht, das wohl mithin heftigste unserer Gefühle, ist bei alledem ein Korrektiv zwischen Vertrauen und Betrug.  Krankhafte Züge können evoziert werden, wenn eine schwere psychische Störung regelmäßig in der Reizauslösung ihren Niederschlag findet. Hiervon affizierte Persönlichkeiten haben in der Regel eine allgemein negative Persönlichkeitsstruktur, sie sind Egozentriker und Egoisten, oft kalt bis ans Herz, neigen zu Haß und Hähme, kaprizieren  Liebe nur auf die eigene Person (Selbstliebe). Sie sind nicht fähig, Alter Ego um seiner selbst willen zu lieben. 

Eifersucht ist eine angeborene Strategie der Evolution und keine erworbene Charaktereigenschaft, weil eine entsprechende  Regung der Seele schon bei Kleinkindern nachweisbar ist. Charles Darwin hat dieses Faktum  1877 schon in einem Bericht über seinen Sohn  William  beschrieben, nachdem er gegenüber seinem 15 Monate alten Sohn mit einer Puppe experimentelle Eifersuchtsreize veranstaltet hatte. 

 Evolutiv kann Eifersucht in Liebesbeziehungen verortet und begründet werden, weil ihr Mechanismus dazu beiträgt, die Weitergabe eigener Gene zu sichern. Zuverlässige Untersuchungen haben gezeigt, dass Frauen eher eifersüchtig sind, wenn der Partner sich auf emotionaler Ebene einer anderen zuwendet. Frauen fürchten stärker als Männer Gefühlsverletzungen. Die körperliche Dimension einer Kränkung z.B. durch Untreue erscheint aus dem evolutiv erklärbaren Gefühl der Frau weniger verletzend, denn sie weiß immer, von wem der Nachwuchs stammt.  Männer sind eher eifersüchtig, wenn sich die Partnerin körperlich einem anderen zuwendet und in ihrer sexuell verorteten Liebeswahl  unberechenbar wird, denn sie wissen nie, ob sie selbst  Erzeuger des vermeintlich (oder tatsächlich?) gemeinsamen Kindes sind. Japanische Forscher haben gezeigt, dass  Eifersuchtsreize bei Männern, nicht aber bei Frauen, im Hypothalamus und Amygdala repräsentiert sind, in einem Areal, das mit sexuellen und aggressivem Verhalten in Verbindung steht. 

 Unbekümmert und „glücklich“ dabei solche Menschen, die Liebe nur weitgehend körperlich erleben und auf diese Weise praktische Instinkthandlungen ausüben. Die Heterogenität auf diesem Felde, also die jeweiligen erotischen  Surrogate (der Ersatz zu einer einfühlenden Liebesbeziehung) sind bekanntlich Legion. Dabei ist der moralische Aspekt keineswegs negativ zu schätzen. Immanuel Kant betrachtete die Ehe offenbar stark versachlicht und meinte, sie sei  einfach nur eine Übereignung der Körper. Aus diesem Aspekt wird dann endlich auch unsere Gewohnheit, den Partner im sozialen Kontext mit einer besitzanzeigenden Konnotation zu bedenken, verständlich: Mein Mann bzw. meine Frau. 

 

Ortegas empirisch begründete, tiefsinnige  Meditationen : Über die Liebe 

 Wir sehen, unsere allgemeinen Vorstellungen  zur Partnerschaft in der Ehe sind stark kulturell und nur wenig psychogen geprägt. Das ist wenigstens dann der Fall, wenn wir eine falsche Wahl aus exogenen Bestimmungsgründen getroffen haben. Dabei darf eine der wesentlichen Ursachen für das sexuelle Feeling des Individuums nicht aus dem Blick geraten: In der pubertierenden Phase ihres Lebens erfahren Jugendliche häufig eine Prägung auf einen bestimmten Typus Frau bzw. Mann. In Gesellschaftsschichten, die ein höheres Bildungsniveau und eine moralische Verantwortung gegenüber ihren Kindern nicht nur besitzen, sondern auch praktizieren, wird  das Lebensglück der Kinder in der Pubertät in der Regel über einfühlsame und  liebevoll vermittelte Sexualerziehung  erfolgreich gesteuert. In diesem Milieu treffen wir zum intendierten pädagogischen Zweck auch heute sehr oft Ortegas Abhandlung über die Liebe an. Ein geschlechtspädagogisch wohl unerhört wertvoller Beitrag, der nach meiner Überzeugung in die Hand und den Kopf  jedes pubertierenden Jugendlichen gehört, wie wir diese Praxis  im oberen Drittel der Gesellschaft  noch immer als eine selbstverständliche Übung antreffen können.

 Ortega liefert gewissermaßen einen erotischen Leitfaden mit psychosomatischem Aufklärungscharakter, der für Liebeserfahrung und Liebeswahl die Weichen zum Glück stellen kann. Denn mit Ortega erfährt der pubertierende Jugendliche die Differentia spezifica, den kernhaften Unterschied  der Sexualität   mittels  Aufspaltung in ein rein körperlich bezogenes Gefühl, den Geschlechtsinstinkt und die Geschlechtsliebe als ein emphatisch vermitteltes Gefühl der in Liebe zu einem ICH verschmelzenden Individuen. Es sind idealiter Geschlechtspartner, deren WIR-Gefühl faktisch in Art eines kollektiven ICHS empfunden wird: Ich bin du! Empirische Untersuchungen auf der Ebene der Zwillingsforschung haben gezeigt, daß diese Höhe des wechselseitig verwurzelten Liebesgefühls sozial indifferent in Erscheinung tritt und folglich offenbar eine Leistung des Unbewußten ist. Man kann Liebe in dieser kulturellen Vollkommenheit nicht wollen, man kann sie bloß fühlen und gefühlt wissen: Psychologische Evidenz. Eine stark kognitive Verschränkung mit der Emotionalität, etwa eine Art interindividuelle Liebesdialektik, wie wir sie z.B. bei so genannten verkopften Menschen häufig anzutreffen pflegen, findet wohl nie den Weg zur Einheit der Herzen, wie diese oben näher beschrieben worden ist. Ausschweifende Liebesdialoge lassen Gefühle zwar deskriptiv werden, zugleich aber töten sie diese auch durch Unterdrückung des hormonellen Getriebes, ohne dessen Motor die physiologische  Basalessenz aller Liebe versiegt.

Prägung der Liebesfähigkeit in der Pubertät 

 Hierbei ist pädagogisch und für den individuellen personalen Charakter das Anwachsen des Bewusstseins im Jugendlichen von der Janusköpfigkeit der Sexualität prägend.  Die Fähigkeit, Liebe in sinnlich-übersinnlicher Weise erleben zu können erweist sich regelmäßig von hoher Bedeutung für das spätere Niveau der Persönlichkeit via Sozialität und Moralität.  Wer pubertierend immer bloß  Sex mit Ficken,  wer also Liebe  mit rein körperlichen Operationen gleichsetzt, der instrumentalisiert seinen Partner meistens autoerotisch und wundert sich darüber, wie brüchig auf dieser Ebene Liebesbande sein können. Ein guter Bock ist noch lange kein guter Liebhaber. 

 Junge Männer begreifen oft nicht das  eigentliche Motiv ihrer Partnerin, die häufig aus ihren Armen flieht, um sich einem anderen, manchmal einem älteren Partner anzuvertrauen. Frauen erleben Sexualität viel stärker in Verbindung mit „tieferen“ Gefühlen und einem stärkeren emotionalen Hintergrund als Männer. Sie sind in der Liebe auf der Ebene der Sexualität oft die besseren, die höher kultivierten Menschen, und  dennoch  können sie  gleichzeitig tierischer als ein Mann  ihre Triebe in Bewegung setzen. Ortegas Meditationen über die Liebe lassen auch diesen Aspekt nicht unbeachtet. 

 Wer aber aus dem Inbegriffs der Abhandlung Ortegas über die Liebe realisiert hat, auf welche Weise die richtige Liebeswahl zu seinem Glück führt, der vermag nicht nur selbst sein Glück in der Liebe zu schmieden, sondern in gleicher Weise auch  das Glückserleben des Partners zu bereichern: Empathie ist die  Methode. Sie ist also gewissermaßen die mehrspurige Autobahn Glück vermittelnder Gefühle, wobei Eros und Sexus sich abwechselnd  auf dem Weg zum Ziel überholen, zur Verschmelzung der Individuen durch Einheit ihrer Iche. Der Orgasmus ist nur die physiologische, die körperliche Fahne des Zieleinlaufs. Die Siegerehrung findet in den Herzen statt. Beides zu erreichen, so scheint es, ist individuell unterschiedlich verteilt. Eine wesentliche Rolle spielt die Prägung des jungen Menschen in der Pubertät. Es kommt also ganz darauf an, welch ein Mensch einer (geworden)  ist. 

Die Frauenbewegung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat auf diesem Felde exorbitante Leistungen im Sinne von Freiheit und Menschenwürde erbracht, aber auch die Pforte für großes Leid von Kindern weit geöffnet. Wie es scheint, ist selbst die Liebe janusköpfig. 

Mit Perspektivwechsel bezeichnen wir  unter dieser Prämisse unsere Fähigkeit, im Selbst-Fremd-Austausch eigene Erfahrung zu nutzen, um anderen Personen mentale und körperliche Zustände zuzuschreiben. Das ist für soziale Interaktion von Bedeutung: Denn etwa 70% unserer Kommunikation spielt sich im nonverbalen Bereich ab: Mimik, Gestik, Sprachmelodie und Blickverhalten.

Geradezu Unfug allerdings ist die besonders in bildungssprachlichen Schichten eingängig gewordene Praxis einiger besonders gebildet wirken wollender Leute, die gern von ihrer Amygdala statt von Gefühlen, von Spiegelneuronen statt von sozialen Beziehungen sprechen. Solche Schlagworte erklären aber gar nichts es sei denn, dass nichts verstanden wurde! 

Kretschmers  Persönlichkeitstheorie und ihre Risiken 

 Aus dem Aspekt von Empathie kommt uns der Psychologe Kretschmer in den Blick, der ehemals mittels Interpretation körperlicher Merkmale die Persönlichkeit  zutreffend zu beschreiben sich imstande sah. Diese Theorie und Methode hatte bekanntlich zur Zeit der nationalsozialistischen Ära Adolf  Hitlers bei  deutschen Strafgerichten Konjunktur („wie der schon aussieht, dem traut man ohne weiteres das und jenes zu“ usw.). Kretschmers Theorie wurde ganz nach Belieben oft von Staatsanwaltschaften und Gerichten missbraucht. Schnell war man dabei, in dem Phänotypus zahlreicher Juden Negativa als Gefahr für die bloß scheinbar  kultivierte Volksgemeinschaft zu erblicken. Das angeblich triebverseuchte Gesicht des hässlichen Juden wurde ins Bewusstsein des noch immer obrigkeitsgläubigen deutschen Volkes gezeichnet und niemand konnte sagen, dass er jemals einen Menschen dieses Phänotyps gesehen hatte!

 Wenn sich heute die selbsternannten  Spätgeborenen  dieser Epoche  von alledem mit oft geheuchelten moralischen Ekel distanzieren, dann bleibt dennoch die Frage nach der eigenen Determiniertheit  einer Tendenz zum Verbrechen bei nachfolgenden Generationen als Möglichkeit auch künftiger Verbrechen dieser Art  unbeantwortet. Die Natur der Natur der faustischen Seele, um in Oswald Spenglers Jargon zu sprechen, hat  ihre basale Struktur  wahrscheinlich nicht durch sittlich emergente, also irreduzibel auf frühere Dispositionen zurückweichende  Allele kulturell erhöht. Wie sollte das auch möglich sein?

 Die gefährliche, weil generell diskriminierende Methode vieler Richter im Tausendjährigen Reich brachte häufig unsägliches Unglück und schicksalhaftes Leid  für das Leben  des Delinquenten und seiner Familie. In der Gemeinde der Persönlichkeitspsychologen gilt Kretschmer einerseits als  begnadeter Interpret von Persönlichkeit vermittels der von ihm entwickelten Methode. Andererseits herrscht Übereinstimmung bezüglich der Anwendung: Nur eben der mit hoher Intuitionskraft begnadete Forscher, das psychologische bzw. psychoanalytische Naturtalent,  kann und darf vielleicht in angegebener Weise Menschen beurteilen. 

Ein Mangel an Empathiekompetenz bei Strafrichtern 

Richter verfügen in aller Regel nicht über solche Qualitäten. Mit angegebenem historischen Beweis haben Richter einfach aus Kretschmers Methode eine normative Kraft des Faktischen (Phänotypus)  mit beispiellosem Unrecht in der Folge veranstaltet. Hätte bundesdeutsche Strafprozessordnung nicht in weiser Vorausahnung aller negativ möglichen Folgen der Conditio humana das Institut einer Berufung (Urteilsanfechtung) an Obergerichte (HRR)  geschaffen, wäre mancher arme Teufel das Opfer profilierungssüchtiger junger Staatsanwälte und unerfahrener bzw. inkompetenter Richterjunioren. Immerhin: In Deutschland benötigt der Kandidat fürs Richteramt ein Prädikatsexamen. 

Die über Kokettieren und  untaugliches Dilettieren unter dem Anschein von strenger Wissenschaft  hinausgehende Anwendung von Empathie etwa auch in der psychiatrischen Therapie erfordert die relevant begnadete Persönlichkeit. Im Blick stehen hier  die gewissermaßen  „übermenschlichen“  Psychologen, Psychoanalytiker, Psychiater,  es sind auch  Priester ebenso wie  Liebhaber im Vollbesitz aller die Liebe umgreifenden geistigen wie triebhaften Kräfte. Offenbar erfüllen diese Anforderung an eine moralische Persönlichkeit mit wissenschaftlicher Sophistikation bzw. Kompetenz bloß wenige Lichtgestalten einer Epoche! Mir scheint, Karl Jaspers war beispielsweise ein Mensch von diesem Schlage

Manipulierbare Judikatur  

Zahlreiche experimentelle Studien belegen das Faktum  psychologischer Einflussnahme und deren Wirkung  auf  richterliche Urteile. Zu den am besten nachgewiesenen Urteilsheuristiken zählt der so genannte Ankereffekt.  Ist dieser vorhanden bedeutet das: Der Richter lehnt seine Entscheidung über Strafmaß oder Schadensersatz an die von der Staatsanwaltschaft vorgegebenen Forderungen an. Der Effekt konnte sogar bei Anwälten beobachtet werden, die in ihrem Plädoyer mit statistisch ermittelter und  festgestellter Dimension von der Forderung der Staatsanwaltschaft abweichen. Solche Anker wirken sich demgemäß auf kognitive Prozesse aus. Anerkannt valide und reliable Untersuchungen von Psychologen  haben gezeigt, dass die angegebene Einwirkung sowohl bei jungen und unerfahrenen wie ebenso bei „älteren, erfahrenen Hasen“ auf Richterseite feststellbar ist. 

Verantwortungsbewusste Richterpersönlichkeiten unterziehen sich deshalb der Mühe einer gegenläufigen Strategie als Korrektiv: Considering the opposite.  Hierbei (Methode, das jeweilige Gegenteil in Erwägung ziehen)  generiert der Richter selbst Informationen (für sein Gehirn), die einem gegebenen Anker widersprechen, einen möglichen Suggestiveffekt neutralisieren können. Richter dieses guten Schlages der gesetzlich geforderten inneren und äußeren Unabhängigkeit sind sich immer dessen bewusst, dass richterliche Urteile menschlich sind und damit auch beeinflussbar. In der Römerzeit pflegten Ankläger wie Verteidiger nach ihren Plädoyers ihre Rede mit den beiden Worten zu beenden: Videant consules. Und die Adressaten waren immer alte, im Leben, in Liebe und Krieg, in Politik und Gesellschaft erfahrene weise Männer, die über das alles hinaus als unabhängig galten. Von welchem Richter kann man das heute bedenkenlos sagen?  Fehlurteile gab es auch in der Antike und wenn es sie gab, sieht man von statistisch auf Zufall beruhenden Ausnahmen wie Irrtum usw. ab, was bis heute zugestanden werden muß, dann erfolgten sie  absichtsvoll. Bewußt herbeigeführte Fehlurteile  allerdings sind den Archiven der Spiegelredaktion anzutreffen und folglich  auch bei uns gut bekannt. Sie harren der Stunde ihrer Offenbarung.

 Persönlichkeitsmerkmale sowohl bei Richtern als auch bei Angeklagten spielen unabhängig von den sachbezogenen Fakten, Beweisen und  Überzeugungen eine Rolle bei der Urteilsfindung. Eine Sensibilisierung für diese meistens verdrängten Wirkmechanismen auf der Seite der Akteure bei der Justiz ist Aufgabe einer pädagogischen Lenkung durch  Politik und Gesetzgebung. Besonders problematisch erscheint jüngeren Studien zufolge eine private intersubjektive Beziehung zwischen  Akteuren auf der Seite des Gerichtes bzw. der Staatsanwaltschaft. Homoerotische Beziehungen (Schwulenpartnerschaften) zwischen beiden Sphären haben nicht selten Einwirkung auf die Objektivität der Urteilsfindung. Innerhalb der „Gilde“ werden derartige Tatsachen ungern an den Pranger gestellt, weil man den Vorwurf der Diskriminierung von Kollegen befürchtet. Die soziopsychologische Valenz dieses Phänomens allerdings scheint unter Bedenken einer Grauzone höchst beachtlich zu sein. Für den Bürger gilt wohl, wie es scheint, hier wie ebenso im Falle ernsthafter Erkrankung: An den fachlich kompetenten und moralisch integren Arzt/Richter zu geraten liegt sehr oft in Gottes Hand.