Das reflexive Ich aus dem Aspekt von  Bewußtsein und Unbewußtem
Zum neuronalen Korrelat von Psyche und Geist  

Seit  Jahrzehnten suchen Wissenschaftler nach den neuronalen Korrelaten des Bewusstseins. Aktuelle intersubjektiv beachtete und anerkannte Studien zeigen, dass Bewusstsein auf synchron  feuernden Neuronenverbänden basiert. Diese Erkenntnis  macht die frühere Annahme obsolet, verschiedene abgegrenzte Hirnareale seien an bewusster Wahrnehmung beteiligt. Bewusste Wahrnehmung des Subjekts von Aussen-und Innenweltrepräsentation im Gehirn ist keineswegs so spektakulär und bloß auf den Menschen beschränkt, wie sich eine allgemeine Einschätzung dieser Sphäre oft vernehmen lässt. Auch Tiere haben Bewusstsein! Ein Ich- bzw. Selbstbewusstsein scheint  allerdings sensu stricto auf den Homo sapiens sapiens begrenzt zu sei. Allerdings gibt es bis heute schlicht keine brauchbare Theorie des Bewußtseins, keine allgemeine Erklärung also, die uns sagt, welches System, ob lebendig oder künstlich, bewußte Empfindungen besitzt.

Affektivität und Selbstkontrolle- Impuls vs. Vernunft 

Nach Auffassung anerkannter Neurowissenschaftler lassen sich bestimmte Hirnareale funktional grob den beiden Systemen der Handlungssteuerung zuordnen. Demnach ist das Entstehen  impulsiver Reaktionen bzw. Affektivität auf ein Zusammenspiel des limbischen Systems und dort vor allem der Amygdla mit dem mesolimbischen Belohnungssystem im Zentrum des Nucleus accumbens zurück zu führen.

 Dagegen  beanspruchen reflektive Prozesse der Zielverfolgung den zentralen präfontalen Kortex, Ort des  Arbeitsgedächtnisses. Hier laufen kognitive Prozesse und affektive Signale zusammen. Offenbar entsteht demgemäß die Selbstkontrolle aus dem Wechselspiel des präfontalen Kortex mit dem anterioren zingulären Kortex  im Verbund mit der Handlungssteuerung im motorischen Kortex. 

Wie funktioniert Gedanken lesen?

Die biologischen Korrelate von Gedanken bestehen nicht in Änderungen des Blutflusses, sondern in Aktivitätszuständen komplexer neuronaler Netzwerke. Die in der Hirnforschung gern benutzte funktionelle Magnetresonanztomografie (fMRT) misst nicht die Aktivität von Nervenzellen, sondern Änderung der Sauerstoffversorgung im Gehirn. Ein Problem für ein neuronales Interpretationskonstrukt z.B. zum Gedanken lesen liegt im Vorhandensein einer ungeheuer großen Zahl neuronaler Verknüpfungen. Forscher messen beim Neuroimaging Veränderung der Hirndurchblutung in Volumeneinheiten, so genannten Voxel

Ist es überhaupt möglich, einen Gedanken eindeutig auf ein neuronales Korrelat abzubilden?  Bisher gibt es kein Modell, das es leistet, Gedanken lesen im Wortsinne zu produzieren bzw. Entsprechungen zwischen psychologisch (Gedanken) und biologisch definierten Entitäten (hirnorganische Areale)  zu definieren. Deshalb bleibt dieses Vermögen, einen Gedanken eindeutig auf ein neuronales Korrelat abzubilden, weiterhin was es ist: Ein phantastischer Wunsch quasi parawissenschaftlicher Träume von Forschern oder einfach: Sciencefiction.

Die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung, zur Selbsterkenntnis und das Ich-Bewußtsein, also die Fähigkeit, seine eigenen Wünsche und Motive zu erkennen, Absichten zu konstruieren und künftige Handlungen zu planen bzw. darauf reflektieren zu können, das alles ist nur bei Menschen  eine eben spezifisch menschliche Fähigkeit. Bewußtseinsforscher sind darin einig, dass Selbsterkenntnis jedenfalls auf Primaten beschränkt ist. 

Modi des  kategorialen Unterschieds  von Mensch und Tier 

Beschränken wir uns zunächst bloß auf das Feld der Persönlichkeitspsychologie, dann kann schon an vier Merkmalen zur Beschreibung der Persönlichkeit gezeigt werden, dass der menschliche Verstand trotz der imposanten kognitiven Leistungen von Tieren einzigartig ist. Mit standardisierten Verfahren untersuchen Psychologen  Kreativität, Neukombination, symbolisches und abstraktes Denken.

Auch bei Tieren wurde graduell different zum Menschen ein Nachweis von beschriebenen Fähigkeiten entdeckt. Tiere besitzen aber nicht das Talent, neue geistige Wege zu beschreiten.

Wolf Singer, Direktor des Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in Frankfurt hob in einer Diskussion zur Berechtigung von Tierversuchen in der Forschung ganz entschieden den kategorialen Unterschied zwischen Mensch und Tier hervor und nannte beispielhaft:

 „Die Fähigkeit, an Götter zu glauben und moralisch zu handeln. Der Mensch ist ein Kulturwesen. Bonobos bauen eben keine Kathedralen.“

 Nach einer Mensch-Wert-Erörterung  richtete Singer scharfe Vorwürfe gegen die Argumente der Tierschutzphilosophie und warf dieser ein Argumentieren im luftleeren Raum vor:

Dass wir überhaupt ethische Überlegungen anstellen, dass wir unsere Toten begraben und Treueschwüre eingehen- genügt das nicht bereits zum Beweis des kategorialen Unterschiedes zwischen Tier und Mensch? Ich habe zumindest noch kein Tier erlebt, das einem anderen ewige Liebe schwor.“…..

Subjektivität und Ich-Bewusstsein 

Singer hat sich mit diesen Beispielen  zur Differentia spezifica von Mensch und Tier indirekt, aber eindeutig auch zum Thema Subjektivität geäußert. Das psychologische ICH und die Person gehören aus dem Aspekt der Philosophie  gleichermaßen zum Thema. Der Unterschied zwischen Selbst und Ich beschreibt zugleich die Differenz zwischen  dem Tier, das über ein Selbst verfügt, und dem Menschen, der allein ein Sich-selbst-wissendes-Ich und damit Person ist. Die von Singer in den Blick genommene Moralität bestimmt deshalb auch den Personbegriff. Nur unter dieser Voraussetzung kann von Verantwortung  gesprochen werden, die wir einem Tier wohl nicht so schnell abverlangen werden. Genau diesen Aspekt greift Immanuel Kant auf, wenn er die begrifflichen Designate von Person beschreibt:

 Person ist dann der Fall, wenn das handelnde Subjekt einer Zurechnung  fähig ist. Welchem Tier könnte man sein Verhalten im moralischen Sinne zurechnen?

Die Autonomie der menschlichen Vernunft als höchstes geistiges Vermögen in Kants Sinne wird  aktuell von den Deterministen in den Neurowissenschaften insoweit  unter Hinweis auf spektakuläre  Ergebnisse der Hirnforschung bestritten, als Geist, Vernunft oder das ICH von der basalen Ebene des Gehirns  unabhängige, wenngleich mit dieser funktional verbundene Bezugsgrößen sind. Die Determinismusdebatte  bringt aber auch einen alten Topos der Philosophie wieder in den Blick, der als Interpretationskonstrukt gegen Determiniertheit  und für Freiheit bzw. Verantwortung mit dem Begriff von Emergenz  in logischer Konsequenz  widerspruchsfreie Argumente ins Feld führt.

Ist unser ICH empirisch zu verorten ? 

Das ICH als eine zentrale Figur der traditionellen Philosophie, den Statthalter der Subjektivitätstheorien, nahmen die empirisch arbeitenden Neurowissenschaften lange Zeit nicht besonders ernst. Und in der Tat: Das Wesen von subjektivem Erleben und ICH-Bewußtsein wird wohl kaum zum Objekt naturwissenschaftlicher Betrachtung taugen. In jüngerer Zeit emanzipierte unser ICH aber im Kontext  interdisziplinärer Forschung  beispielsweise im Falle überprüfter Nahtoderfahrung  zu einer respektablen  Bezugsgröße auch der empirischen Forschung.

Die Reizung bestimmter Hirnareale wie z.B. des rechten Gyrus angularis können  ausserkörperliche Wahrnehmungen auslösen. Entsprechende Experimente haben gezeigt, dass unser ICH-Bewußtsein auf drei Aspekten beruht: ICH-Lokalisation (Wir erleben und als ICH im Körper als räumliche Einheit), ICH-Perspektive (wir sehen, hören und fühlen die Aussenwelt aus dem Innen des Körpers) und SELBST-Identifikation ( Wir erfahren unseren Körper als uns zugehörig).

In den Medizin haben sich Verfahren der Tiefhirnstimulation (THS) bewährt. Mittels implantierter Elektroden werden Hirnareale gereizt, wobei einige neurologische Leiden gelindert werden können. So lässt sich die negative Stimmung depressiver Menschen aufhellen bzw. ganz beheben.  Eine Veränderung der Persönlichkeit ist möglich durch Veränderung von Gedanken und Gefühlen. Solche Prozeduren sind aus dem Aspekt einer Verbesserung der Lebensqualität ( z.B. bei Zwangsneurosen, Demenz und Depression) ehtisch sicher unbedenklich! Das sich hierbei allerdings zeigende Problem berührt das Ethos des Arztes, die ärztliche Standesethik dennoch nicht unerheblich. Die Frage lautet nämlich nicht, ob Tiefhirnstimulation geistige Funktionen verändert, sondern sie lautet: Wie werden solche Funktionen verändert und ist dieser Erfolg jeweils subjektiv wie sozial wünschenswert? 

Die synthetische Einheit der Apperzeption: Das Ich denke, wie es Immanuel Kant  in der der Kritik der reinen Vernunft (KrV) auf den höchsten Punkt  einer Verstandesleistung hinauf trieb, wird von den deterministischen Fundamentalisten in der Hirnforschung nicht als eine Leistung in Kants Reich der Zwecke, der Freiheit, also als Metaphysik, sondern als eine basale Leistung unseres Gehirns in determinierter Interaktion mit verschiedenen Arealen vorgestellt. Demgemäß ist Kants freier Wille eine Illusion. Unser Gehirn bringe, so heißt es,  den Geist hervor. Folglich ist unser Denken und unser ICH eine determinierte, organisch gestützte Leistung, Ausdruck basaler Funktionen.

Dagegen steht die Position neuerer wissenschaftlicher Modelle aus dem Aspekt von EMERGENZ.

Daß unser Gehirn auf bis jetzt unbekannte Weise den Geist hervorbringt, dieses Faktum der Conditio humana wird auch bei Annahme von Emergenz nicht in Frage gestellt. Bewusstes Denken aber ist, so scheint es,  mit psychologischer Evidenz eine emergente Eigenschaft. Damit ist der Ursprung dieser geistigen Leistung zwar nicht erklärt, sondern nur seine Realität bzw. sein Abstraktionsgrad anerkannt. Daraus folgt: Der Geist ist strukturell  eine in gewissem Grad unabhängige Eigenschaft des Gehirns und funktional zugleich völlig von seiner basalen Ebene, dem Gehirn abhängig. Man könnte diesen  Interaktionsmechanismus mit dem Funktionieren von Software und Hardware vergleichen. Das ICH-Bewußtsein entsteht also als emergente (neu und irreduzibel auftauchende) Eigenschaft des Gehirns auf einer anderen Organisationsebene.

 

 Peter Singers Mensch-Wert-Modell ein neuer Humanismus ?

Ein anderer Singer, der in Princeton, USA, lehrende Moralphilosoph Peter Singer beschäftigt sich und die weltweit durch den millionenfachen Mord an Juden zur Zeit des Hitlerregimes sensibilisierte Öffentlichkeit mit spektakulären Thesen zum kategorialen Unterschied, indem er nicht oder noch nicht  vollsinnige Menschen (z.B. Kleinkinder)  mit Primaten vergleicht und nach dem je relativen Lebenswert fragt. Peter Singer ist Repräsentant einer  utilitaristischen Ethikposition. Für seine mit Verve vertretenen Sichtweisen erhielt er am 3. Juni 2011  in Frankfurt den Ethik-Preis der Giordano-Bruno-Stiftung. Im Stiftungsbeirat sitz auch Wolf Singer. 

 Unter der Fahne eines neuen Humanismus zeichnet die Stiftung  Peter Singers spektakuläres Eintreten für Tierrechte aus und hebt seine entsprechende Position in das Licht von allgemein verbindlicher Bedeutung. Sie gipfelt in dem Anspruch,  Affen Privilegien zu verleihen, die bisher nur Menschen besitzen: Das Recht auf Leben, auf Freiheit und das Verbot der Folter. Ob Wolf Singer seinem Namensvetter Peter dessen grundsätzliche Relativierung des Wertes menschlichen Lebens  nur als Tabubruch nachsehen und sich im übrigen kongenial zeigen wird? Die Gehirne schwachsinniger Menschen wären als Experimentierfeld für Hirnforschung nicht übel attraktiv!

Qualität des Verstandes von Jägerhirnen der Steinzeit

José Ortega y Gasset hat dem Jägerhirn des frühen Menschen auf dem Wege zur Kulturevolution nur wenig herausragenden Leistungen zuerkannt, die ihn vom Tier kategorial unterscheidbar machen. Eine Abstraktionsleistung sui generis, ein erster wirklicher Fortschritt geistiger Kreativität war nach Ortega das jagdstrategische Novum, mit dem der Mensch der Morgenröte ein anderes  Tier, den Hund, zwischen sich und das Beutetier setzte, um dessen Sinne zu nutzen und erfolgreicher Beute machen zu können. In unserer Phylogenese passt dieses Jagdhundschema aber erst in die Steinzeit. Archäologische Funde zeigen, dass ein deutlicher Sprung des Menschen, geistige Fähigkeiten zu entwickeln frühestens vor 800 000 Jahren einsetzte. Seitdem sind Höhlenmalereien und kultische Begräbnisstätten nachweisbar. Das vor etwa 200 000 Jahren beginnende Mittelpaläolithikum ist das Zeitalter des Neandertalers mit der Kulturstufe des Moustérien. Ebenfalls dem Neandertaler wird das Jungpaläolithikum vor etwa 40 000 Jahren zugerechnet. Seitdem ist eine neue Kulturstufe  mit Schmuckelementen übergehend zur Chatelperonnienkultur erkennbar. Fast zeitgleich erscheint im Bereich der heutigen Schwäbischen Alb die hoch entwickelte  Kulturstufe des Aurignacien mit filigranen Elfenbeinschnitzereien.

Emotionalität und das Unbewusste 

Das jeweilige subjektive Erleben lässt sich teilweise mit Eigenarten bestimmter Hirnregionen in Zusammenhang bringen. Untersuchungen an Wachkomapatienten aber zeigen auch, dass uns die meisten Prozesse, die in den Köpfen anderer Menschen ablaufen, näher hin das subjektive Erleben verborgen bleibt.

Das Problem des Fremdpsychischen beschäftigt die Philosophie seit jeher! Ludwig Wittgenstein und  Martin Heidegger waren überzeugt, dass wir beurteilen können, ob andere Bewusstsein besitzen. Diese Annahme ist mit der Einschränkung, dass sich unser Gegenüber in einer kulturell akzeptierten Weise auszudrücken vermag, durchaus berechtigt. Dagegen gelingt es der modernen kognitiven Psychologie nicht, ein spezifisch menschliches Merkmal: die Subjektivität,  in den Blick zu bekommen.

Zu den Bedingungen der Möglichkeit von Kultur:

Das gesamte Denken und Handeln unserer Spezies gründet darauf, dass wir als Subjekte andere Subjekte, andere Menschen eben in dieser subjektiven Sphäre, wie diese gleich uns selbst die Welt erleben, erfahren. Ohne ein Selbstbewusstsein dieser Art gäbe es kein moralisches Empfinden, Ethik wäre nicht vorstellbar, weder moralische noch moralanaloge Handlungen wären in der Welt, weil wir dem Alte Ego gar nicht eine Gefühlsvalenz zusprechen könnten: zu fühlen wie wir selbst. Und genau diese im Menschlichen verortete universell gegebene Fähigkeit ist die Bedingung der Möglichkeit für eine Ethik, für ein Moralsystem überhaupt: Menschen handeln nur deshalb moralisch, weil sie davon ausgehen können, dass andere ebenso handeln.

Die gelegentlich vernehmbare Hypothese, wissenschaftliche Psychologie betrachte den Menschen auch als Subjekt ist ein Irrtum. Subjektivität als Wirklichkeitsfähigkeit ist nicht das Gegenteil von Objektivität, sondern vielmehr deren Voraussetzung. Dem entzieht sich der naturalistische Blick auf die Welt indem er behauptet: Alles, was existiert ist empirisch erklärbar.

 Der empirische Input durch unsere Sinne auf dem Wege in bewusste Wahrnehmung  bildet keine Gegenstände in unserem Kopf ab, sondern erzeugt Phänomene, die unser Verstand interpretiert. Hier trifft die relevante Interpretation der aktuellen Hirnforschung auf die Interpretationskonstrukte der Kantschen Philosophie. Wolf Singer steht mir schon lange im Verdacht, nicht nur die Kritik der reinen Vernunft (KrV), sondern auch Kants Kritik der Urteilskraft (KdU)  gut zu kennen und gelegentlich den Versuch zu unternehmen, Kants Urteilssätze, Axiome und Kategorien neurowissenschaftlich zu überprüfen.

Zuflucht zu Immanuel Kant?

Wer überhaupt begreift, dass und wie Urteilssätze a priori möglich sind, der versteht auch das inzwischen  von Neurowissenschaften, Neurobiologie und Neurophilosophie  hervorgebrachte Wissen über die Erkenntnis vermittelnden Funktionen unseres Gehirns. Die genannten empirischen Humanwissenschaften haben, so scheint es, den Naturalismus im Gewande der Evolutionären Erkenntnistheorie (EE) ad absurdum geführt. Mit Kant kann also behauptet werden: Die Gegenstände im Raum bestimmen nicht uns, sondern wir, unser Gehirn bestimmt die Objekte unserer Aussenwelt durch Interpretation. Um diese Variante unterschiedlicher Erkenntnistheorien angemessen verstehen zu können, müssen  dem Betrachter zwei zentrale Aussagen der Kantschen Erkenntnistheorie (in KrV  zu B 197 bzw. B 134) vor sein intellektuelles Auge geführt werden:Bewusstsein, operativer Verstand und das Denken

Primaten und viele höhere Vertebraten verfügen wie der Mensch (zoologisch bloß ein Tier) über erstaunlich hohe Bewußtseinsqualitäten. Immanuel Kant bemerkt in seiner Anthropologie, dass der Mensch dem Tier den Verstand nur in qualitativer Höhe voraus hat, was ihn, den Menschen, allerdings keineswegs gegenüber dem Tier als einzigartiges Wesen auszeichne. Die Komplexität der Bilder und die uns mögliche durchgängige Identität ihrer Wahrnehmung (Apperzeption) enthält eine Zusammenschau von Vorstellungen (Synthesis).Sie ist nach Kants Überzeugung  „nur durch das Bewusstsein dieser Synthesis möglich“ ( KrV, B133).

Damit aber können wir noch gar nichts anfangen! Wir würden wie Blinde umhertappen und befänden uns in einem Zustande, den die moderne Psychiatrie bei einigen Individuen unserer Spezies noch immer vergeblich zu  beheben, wenigstens zu mildern sich bemüht. Erst unsere Fähigkeit zur Analytik (Kant: Die analytische Einheit der Apperzeption) macht es uns möglich, so etwas wie Denken zu produzieren, so ungenügend diese in der Psychologie gern mit Kognition bezeichnete Fähigkeit  in aller Regel auch sein mag. Die Kraft, die dieses Denken hervorbringt, ist unser Verstand.

 Kant beschreibt den operativen Verstand so: Die Sinne vermitteln uns bloß Vorstellungen, Phänomene, wie sie auch dem Tier im Bewusstsein gegeben sind. Mit dem Input in unser Gehirn bearbeitet aber der Verstand zeitgleich diese Phänomene und ordnet sie zu einer Einheit. Hierhin gehört jetzt der Subjektivitätsbegriff, der von uns ohne exakte Kenntnis seiner Konnotationen nicht angemessen verstanden werden kann. Ausführungen hierzu erfolgen an anderer Stelle.

Festhalten können wir hier mit Bezug auf die von uns erlebten ICH-Zustände   dieses Faktum empirischer Wissenschaft:

Das körperliche ICH-Bewußtsein beruht auf drei Aspekten.

ICH-Lokalisation

ICH-Perspektive

Selbstidentifikation

Die Reizung bestimmter Hirnareale, bei Gesunden wie bei kranken Menschen, beispielsweise des rechten Gyrus angularis  kann außerkörperliche Wahrnehmungen auslösen. Menschen haben dabei das Gefühl, sie verließen ihren Körper und könnten sich selbst von außen/oben sehen. Nahtoderfahrungen haben hierzu häufig  empirisch einen  Beweis geliefert.

Die geordnete Einheit der Wahrnehmungsphänomene bildet die Fähigkeit in ihrer höchsten Vollendung zur kognitiven Valenz des Subjektes aus: Ich denke.

Und so ist die synthetische Einheit der Apperzeption der höchste Punkt, an dem man allen Verstandesgebrauch, selbst die ganze Logik (…) heften muß, ja, dieses Vermögen ist der Verstand selbst.“ Kant)

Es scheint bisher unentschieden zu sein, ob man empirisch solche mentalen Prozesse in ihrem basalen  Korrelat (bestimmte bzw. bestimmbare Areale des Gehirns) beobachten, aufsuchen, verfolgen kann.

 Ein gesichertes Wissen der Hirnforschung aber sollte unsere Überlegungen begleiten:Ohne Vernetzung von kortikalen und subkortikalen Hirnregionen entsteht kein zusammenhängendes Bewusstsein. Es basiert im Forschungsergebnis einiger zuverlässiger Studien auf dem im Gleichtakt synchronen Feuern weit verteilter Neuronenverbände.

 

Doppeltes ICH-Bewußtsein- Gepaltenes ICH  

Zahlreiche Menschen leiden unter einer pathogenen Ich-Störung, der dissoziativen Identitätsstörung (DIS). Betroffene entwickeln dann zwei oder mehrere Identitätszustände, die abwechselnd die Kontrolle über Verhalten und das  Bewusstsein übernehmen. In jedem solcher Zustände erleben Patienten unterschiedliche Gefühlszustände, haben andere Stimmungen und Gedanken und nehmen sich selbst jeweils faktisch als eine andere Person wahr. DIS-Persönlichkeiten haben abgespaltene Ich- Zustände. Sie erleben sich als Ich nicht in mehreren Persönlichkeiten, sondern- im Gegenteil!- sie verfügen sensu stricto über weniger als eine ganze Persönlichkeit.

 Daß aber Denken immer auch hirnorganische Aktivitäten erzeugt, dieses Faktum bestreitet  niemand auf dem Felde ernstzunehmender Geisteswissenschaften. Ebenso unbestreitbar ist nach Lage der spektakulären Forschungsergebnisse in den Neurowissenschaften (Hirnforschung), dass unser Denken oft Richtung gebend aus der Sphäre des Unbewußten über neurobiologische Mechanismen gesteuert wird (vgl. aktuelle Debatte  Determinismus vs. Freiheit). Gleichzeitig  erscheint mir die Bedingung der Notwendigkeit einer Annahme von Subjektivität unbestreitbar zu sein, um eine Selbstinterpretation des Menschen überhaupt möglich werden zu lassen. Denn Liebe, wie sie vor allem von José Ortega y Gasset erkannt und begriffen worden ist, Lachen und Weinen, übersinnliche Wirklichkeit im religiösen Gefühl, ebenso kreative Leistungen von Kunst beispielsweise auf dem Gebiete von Musik, die Fähigkeit unseres Denkens, Ideen immer wieder neu  zu kombinieren, der Gebrauch mentaler Symbole, oder solche Fähigkeiten, die Kant mit Urteilskraft in den Blick nimmt: alle kulturellen Möglichkeiten genannter Art und noch vieles darüber hinaus kann mit einem rein naturwissenschaftlichen bzw. mit dem in den Neurowissenschaften  bevorzugten Theorienrahmen nicht erfasst werden.

Wie aber können wir begreifen, dass nach Kants Überzeugung unser Verstand  erst die Aussenwelt  dem Bewusstsein  zugängig macht und zugleich als Interpretationskonstrukt den so genannten aha-Effekt, also das Erkennen der Wirklichkeit von Welt gewährt. Kants entscheidender Satz hierzu lautet:

Die Bedingungen  der Möglichkeit der Erfahrung überhaupt sind zugleich Bedingungen der Möglichkeit der Gegenstände der Erfahrung, und haben darum objektive Gültigkeit in einem synthetischen Urteile a priori.“ (KrV, B 197)

 

Der Schematismus des Verstandes

Zur Erklärung des Wie der uns grundsätzlich möglichen Erkenntnis unserer Aussenwelt, der sozialen wie ökologischen, führt Kant den Schematismus des Verstandes ein, eine verborgene Kraft, wie er meint, die wir niemals wohl werden entbergen können. Na ja, Kant konnte ja vieles vorausahnen, „perhorizieren“, nicht aber schon die exorbitant produktiven Techniken der modernen Hirnforschung. Nicht schlecht, würde ein großer Denker wie er an der Determinierungsdebatte jüngerer Generation teilnehmen können. So aber erleben wir vorerst intellektuelle Grabenkämpfe, die durch Dummheit wohl eine lange Saison vor sich haben.

Übrigens Dummheit? Kant wusste bereits, auf welche Weise  wir Heutigen die hochintelligente wie stark intellektuell argumentierende Elite der Wissenschaft wohl angemessen einzuschätzen haben, wenn es darum geht, hochgelehrte Fachwissenschaftler (Professoren ihres Fachs) in die Schranken ihres Basisdenkens zu lenken, bevor wir uns bereit finden können, jeden noch so intelligent formulierten Flatus animi, jede noch so bildreich ausgeschmückte Trivialität oder Absurdität  als Dokument von Tiefsinn bzw. reiner Wissenschaft zu akzeptieren. Trotzdem gilt: richtige Trivialitäten sind  immer besser als falsche Originalitäten!

Nun führt Kant die Urteilskraft als ein Geistesvermögen zwischen Verstand und Vernunft ein:

Die Urteilskraft ist die Fähigkeit, das Besondere als enthalten unter dem Allgemeinen zu denken (KdU).Wenn der Verstand überhaupt als die Fähigkeit der Regeln erklärt wird, so ist die Urteilskraft die Fähigkeit, unter Regeln zu subsumieren, also zu unterscheiden. Urteilskraft aber ist ein besonderes Talent (KrV, B 171/172).

Kant erläutert, die Urteilskraft sei das Spezifische von dem, was wir mit Mutterwitz bezeichnen. Ihn kann keine Schule ersetzen. Man hat also die Urteilskraft qua Naturtalent und ist in dieser Verfassung z.B.  ein guter Arzt, Anwalt, Richter oder Wissenschaftler. Oder man hat dieses Talent nicht und bleibt auf seinem Berufsfeld meistens ein Stümper.

Der Mangel an Urteilskraft ist eigentlich das, was man Dummheit nennt, und einem solchen Gebrechen ist gar nicht abzuhelfen. Ein dumpfer oder eingeschränkter Kopf (…) ist durch Erlernen sehr wohl, sogar bis zur Gelehrsamkeit, auszurüsten.“ (KrV, B 173)

Kant bemerkt in diesem Zusammenhang, dass es auch auf der akademischen Ebene manchen Professor gibt, der in diesem Sinne ein Dummkopf ist :(…) so ist es nichts ungewöhnliches, sehr gelehrte Männer anzutreffen, die, im Gebrauche ihrer Wissenschaft, jenen nie zu bessernden Mangel häufig blicken lassen.“ 

Irgendwie muß Kant nach Ernst Jüngers Konstrukt der Zeitsprünge einen Traum 200 Jahre voraus auf die Hirnforschung erlebt haben, oder wie sollen wir seine vorstehend erwähnten Worte sonst verstehen? Hochaktuell jedenfalls sind seine Feststellungen immerhin noch heute! Weisheit übrigens hielt Kant für ein Ideal, nicht aber für eine Charaktereigenschaft. Weisheit ist unerreichbar, aber als Leitbild wichtig: Die Idee der höchsten Weisheit ist ein Regulativ in der Nachforschung der Natur“. 

Bei allen oft und gern zitierten Kanturteilen sollte den Leser und Kantverehrer einmal interessieren:

Warum hat Immanuel Kant diesen enormen Geistesaufwand zum Verfassen der Kritik der reinen Vernunft betrieben?

Kants zentrales Motiv blieb und bleibt wohl den meisten von uns im Dunkeln verborgen und dennoch ist alles so einfach zu begreifen, wenn man überhaupt versteht, wie Kants Denken strukturiert ist: Kant wollte Gott beweisen. Irritiert wird dann freilich der gläubige Christenmensch und Kantverehrer, wenn er im Opus Postumum liest: Gott ist eine Idee.

Na ja, wahrscheinlich-immerhin-befindet sich Kant damit heute im weltweit intersubjektivem Überzeugungsraum zur Vorstellung des Göttlichen im Menschen, näher hin im Gehirn des Menschen.  Hatte  Reinhard Brandt das alles übersehen, als er seine Abhandlung 2010 bei Meiner-Verlag herausbrachte: Immanuel Kant- Was bleibt?